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Das Projekt „(K)eine Glaubensfrage – Religionen in der Migrationsgesellschaft“ gehört zum ständigen Seminarangebot der Bildungsstätte Anne Frank und richtet sich an hessische Schulen.

Wir haben mit der Projektleiterin Nabeela Khan über religiöse Vielfalt an Schulen gesprochen, über die Herausforderungen, die damit verbunden sind, und die Lösungsansätze des Weiterbildungsangebotes.

Nabeela, worum geht es bei dem Projekt?

Das Projekt „(K)eine Glaubensfrage“ ist ein Weiterbildungsangebot für hessische Lehrkräfte, Pädagog*innen und Schüler*innen rund um das Thema religiöse Vielfalt. Es besteht bereits seit einigen Jahren. Im Fokus stehen Religionsfreiheit und religiöse Selbstbestimmung, grundlegende Menschenrechte, die im Grundgesetz einen hohen Stellenwert haben und natürlich auch in der Schule geschützt werden müssen. Dabei sprechen wir auch über die Bedeutung von Religion für das friedliche Zusammenleben und qualifizieren Lehrkräfte für einen kompetenten Umgang mit religiösen Konflikten, was maßgeblich zum positiven Schulklima beitragen kann. Wir wollen Lehrkräfte außerdem fit dafür machen, Religion perspektivisch als ein positiv besetztes Thema in der Schule zu behandeln.

Sprechen wir zunächst über die Angebote für Schüler*innen. Wie sieht ein Workshop für sie aus?

Im Rahmen des Projektes haben Schüler*innen die Möglichkeit, sich mit religiöser Vielfalt auseinanderzusetzen. Ein Teil der Workshops für Schüler*innen wird im Lernlabor der Bildungsstätte durchgeführt, wo an den einzelnen Lernstationen unterschiedliche Aspekte behandelt werden. Darüber hinaus finden aber auch Workshops an Schulen statt, die perspektivisch noch mehr werden sollen.

Wir fragen uns: Wie wird Religion gesellschaftlich verhandelt? Ist Religion reine Privatsache? Welches Bild gibt es jeweils von den unterschiedlichen Religionen? Wir wollen die Schüler*innen ins Thema einführen, ihnen neue Perspektiven aufzeigen und vermitteln, dass Religionsfreiheit und religiöse Selbstbestimmung und Entfaltung Menschenrechte sind, die geschützt werden müssen. Denn das ist nicht allen so bewusst. Im zweiten Teil geht es dann um Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Religionszugehörigkeit – Diskriminierung beispielsweise – oder die Tatsache, dass es nicht überall die Möglichkeit gibt, seine Religionsfreiheit auszuleben. Das machen wir immer an konkreten Beispielen fest, manchmal bringen auch die Schüler*innen eigene Erfahrungen ein. Dabei geht es auch immer darum, zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt, die Situation von Betroffenen zu verbessern und einen Blick darauf zu werfen, was sich in diesem Bereich in den letzten Jahren getan hat.

Gehen wir jetzt näher auf die Weiterbildungen für Lehrkräfte ein. Wie sehen diese aus? Und was müssen Lehrkräfte dafür mitbringen?

Die Aufgabe von Lehrkräften ist es u.a. den pädagogischen Raum zu schützen, deshalb haben ihre Fortbildungen einen anderen Schwerpunkt. Sie sollten die Bereitschaft mitbringen, sich auf religiöse Vielfalt einzulassen, Irritationen zulassen und sich selbst zu reflektieren. Denn nur dann können die Denkanstöße, die wir vermitteln, auch angenommen werden. Zum Beispiel ist es für Teilnehmende wichtig, zu realisieren, dass es eine christliche Dominanz und Prägung in unserer Gesellschaft gibt und daher an einigen Stellen eine Schieflage besteht. Unsere Erfahrung zeigt, dass weitaus mehr Abwehr gibt gegenüber Religionen, die als „fremd“ empfunden werden, wie z.B. den Islam, als gegen das Christentum – das sorgt auch für die meisten Irritationen und Reibungen. Denn auch in der Schule gibt es durchaus Strukturen, die die Ungleichbehandlungen verstärken oder fortführen. Und unser Ansatz ist hier zu fragen: Wie kann der Umgang mit religiöser Vielfalt gelingen? Wie kann Religionsfreiheit geschützt werden? Wie können Jugendliche, – aber auch Lehrkräfte – wenn ihnen das wichtig ist, Religion als Teil ihrer Identität in der Schule geschützt leben und praktizieren?

Es wird zudem oft argumentiert, dass Religion Privatsache ist und daher in der Schule nichts verloren hat. Tatsächlich gibt es viele Beispiele, die das Gegenteil belegen – von (christlichen) Feiertagen, die gesetzlich geregelt sind und teilweise sogar in der Schule gefeiert werden, bis zum Religionsunterricht, der als ordentliches Schulfach gilt. Lehrkräften fällt es manchmal schwer, das zu akzeptieren, weil sie sich selbst als säkular oder religionskritisch wahrnehmen und die Schule gerne als einen Raum sehen möchten, der frei von jeglicher religiösen Überzeugung ist. Dabei fällt auch gerne der Begriff des Neutralitätsgebots, der mit dem Argument einhergeht, dass Religionspraktiken in der Schule keinen Raum haben dürfen. Doch das Neutralitätsgebot besagt lediglich, dass die Schule als eine Institution, die den Staat repräsentiert, keine Religion bevorzugen oder benachteiligen darf. Es geht also nicht darum, Religion gänzlich aus der Schule zu verbannen.

Bei unseren Weiterbildungen haben die Lehrkräfte und Pädagog*innen dann die Möglichkeit, anhand von Fallbeispielen, die wir oder die sie selbst einbringen, Situationen zu analysieren und zu schauen: Was ist vielleicht nicht so gut gelaufen? Was hätte man anders machen können? Was kann man daraus für die Zukunft lernen? Wir geben ihnen also auch Handlungsempfehlungen.

Und mit welchen Herausforderungen haben Lehrkräfte und Schüler*innen konkret in diesem Kontext zu kämpfen? Kannst du uns zwei oder drei Beispiele nennen?

Es kann z.B. um die Frage gehen: Welche Religionen werden thematisiert und vor allem, wie? Wie wird das Christentum und wie wird der Islam im Unterricht behandelt? Studien zeigen, dass vom Islam meist ein eher abwertendes und negatives Bild konstruiert wird – sowohl in den Schulbüchern und Materialien als auch in den Debatten. Das gilt es zu hinterfragen und nicht in der Schule zu reproduzieren.

Ein anderes Beispiel könnte sein, dass ein Mädchen plötzlich in der Schule ein Kopftuch trägt. Wie gehe ich als Lehrkraft damit um? Muss ich das unbedingt vor der Klasse thematisieren, eine Rechtfertigung von ihr einfordern oder gar eine Elternkonferenz einberufen? Wenn es mir ein Bedürfnis ist, als Lehrkraft hierzu das Gespräch zu suchen, warum ist mir das dann wichtig, und wie kann ich das am besten machen? Solche Situationen eskalieren nämlich leider relativ häufig an Schulen. Wir wollen Lehrkräfte im Umgang mit solchen und ähnlichen Situationen bestärken.

Andere Herausforderungen könnten sein: Wie gehe ich damit um, wenn Schüler*innen einen eigenen Gebetsraum wollen? Oder mit Themen wie Beschneidung oder Schächtung? Höre ich mir wirklich gleichberechtigt alle Perspektiven an? Oder spielen in der Debatte meine eigenen Vorurteile mit rein, die somit eine bestimmte Richtung vorgeben? Welche Argumentationen sehen wir als legitim und welche nicht? Wo haben Lehrkräfte Verständnis und wo nicht? Die eigene Haltung der Lehrkraft spielt in solchen Situationen eine große Rolle und kann einiges beeinflussen.

Wie hilft das Projekt Lehrkräften und Schüler*innen, mit diesen Herausforderungen umzugehen? Welchen besonderen Beitrag leistet es zum Umgang mit religiöser Vielfalt an Schulen?

Die Schule ist ein Ort, an dem sehr viel passiert – auch viele Konflikte rund um das Thema religiöse Vielfalt finden hier statt. Es gibt aber wenig Räume, sich explizit damit zu beschäftigen. Das Projekt schafft also die Möglichkeit und den Raum, Dinge offenzulegen. Die Fortbildung öffnet Türen, um sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, dem sonst zu wenig Raum gegeben wird.

Sie bietet zudem die Möglichkeit, sich zu einem Thema weiterzubilden, dass sowohl in der Lehrer*innenausbildung als auch im Berufsalltag zu kurz kommt. Die Lehrkräfte lernen unterschiedliche Perspektiven kennen und erhalten zudem konkrete Handlungsempfehlungen. So kann die Weiterbildung einen wichtigen Beitrag zu einem weniger spannungsreichen Klima in der Schule leisten, einer konstruktiven Auseinandersetzung und zu einem friedlichen Umgang miteinander. Es geht zudem darum, gemeinsam kritisch zu prüfen, ob die Schulen dem Anspruch gerecht werden, dass Religionsfreiheit und Selbstbestimmung als Grundrecht in der Schule geschützt werden.

Entscheidend ist dabei immer auch, Erfahrungen von antimuslimischen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Religionszugehörigkeit zu thematisieren und letztlich jede Form von Diskriminierung zu vermeiden. Denn die genannten Beispiele haben nicht immer, aber doch oft etwas mit Vorurteilen und Rassismus zu tun. Leider ist auch die Schule recht häufig ein Ort, an dem Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus (teils auch unbewusst) reproduziert wird – es ist wichtig, das zu erkennen und dem etwas entgegenzusetzen. Dabei leistet das Projekt „(K)eine Glaubensfrage“ einen wichtigen Beitrag. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Projekt „(K)eine Glaubensfrage“ wird in Kooperation mit dem Hessischen Kultusministerium und dem „Haus am Dom“ Frankfurt durchgeführt. Gerade laufen die Vorbereitungen für eine Fachtagung, die den Komplex „Religionen in der Migrationsgesellschaft“ weiter vertiefen soll. Auf unserer Seite zum Projekt halten wir Sie darüber auf dem Laufenden.

Zur Seite des Projekts „(K)eine Glaubensfrage“
Zum Flyer des Projektes „(K)eine Glaubensfrage“