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Die Organisator*innen hatten es mit klaren Schlagworten überschrieben: „Anerkennen. Aufklären. Verändern.“

Die Wahl des Austragungsortes war dabei kein Zufall, denn in Nürnberg wurden drei Mordopfer des rechtsterroristischen NSU getötet. Außerdem spielte eine der lokalen Zeitungen, die „Nürnberger Zeitung“, eine besondere Rolle dabei, die mediale Berichterstattung in eine rassistische und, wie sich später herausstellen sollte, vollkommen falsche Richtung zu lenken: Sie schuf den Begriff „Döner-Morde“, der es nicht nur in einschlägige Boulevardmedien, sondern überregionale Tageszeitungen schaffte.

Jüngst entschloss sich der bayerische Landtag dazu, sich in einem zweiten Untersuchungsausschuss mit der Mordserie des NSU zu beschäftigen. Denn neben drei Mordopfern in Nürnberg gab es zudem noch zwei weitere in München. In Bayern wie in anderen Bundesländern sind die Verbindungen zwischen dem Kerntrio des NSU und ansässigen rechten Netzwerken nach wie vor ungeklärt. Faktisch festzuhalten bleibt allerdings: Von Stereotypen geprägte und strukturell verankerte rassistische Ermittlungsweisen haben sicherlich das ihre dazu beigetragen, dass der NSU über Jahre hinweg unbehelligt seine menschenfeindlichen Taten verüben konnte.

Am 9. Juni ist es 17 Jahre her, dass İsmail Yaşar, Inhaber eines Imbisses, in seinem Verkaufscontainer in Nürnberg mit fünf Schüssen getötet wurde. In seinem Fall gingen die ermittelnden Beamt*innen von Verbindungen ins Drogenmilieu aus, hörten Angehörige des Ermordeten ab, versuchten sich Zugang in das vermeintlich kriminelle Umfeld des damals 50-Jährigen zu verschaffen. Einem rechts motivierten Hintergrund der Tat nachzugehen, kam der Kriminalpolizei offenbar nicht in den Sinn, obschon es durchaus stichhaltige Hinweise gab, welche die Polizei zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen.

Vier Jahre zuvor, am 13. Juni 2001 war Abdurrahim Özüdoğru ebenfalls in Nürnberg vom NSU getötet worden: mit zwei Kopfschüssen, in der Schneiderei, die er sich aufgebaut hatte. Danach wurde er von seinen Mördern fotografiert. Eines dieser Bilder sollte später im Bekennervideo der rechtsterroristischen Vereinigung zu sehen sein. Und auch in seinem Fall durchsuchte man lieber die Wohnung des Ermordeten mit Drogenspürhunden, als möglichen rassistischen und rechten Motiven nachzugehen.

Theodoros Boulgarides, der Mitinhaber eines Schlüsseldienstes war, wurde am 15. Juni 2005 in München vom NSU umgebracht. In diesem konkreten Zusammenhang stellt sich bis heute die Frage, wie seine Mörder auf ihn aufmerksam werden konnten: Sein Geschäft, jenen Ort, an dem er auch starb, hatte er erst kurze Zeit vorher eröffnet. Ist dies allein nicht schon Anlass genug zu vermuten, dass es Helfer*innen gegeben haben muss, die Mordopfer ausfindig machten und dem Kerntrio Informationen zukommen ließen?

Ortskundige Unterstützer*innen werden mittlerweile auch im Fall des 31-jährigen Süleyman Tasköprü vermutet, der am 27. Juni 2001 in Hamburg-Bahrenfeld im Laden seines Vaters ermordet wurde. Letzterer sagte damals gegenüber der Polizei aus, zwei Männer auf dem Bürgersteig gesehen zu haben, die sich von seinem Geschäft wegbewegten. Vermutlich waren es die Täter. Doch anstatt dem nachzugehen, ermittelten Beamt*innen wieder in die Richtungen Drogenmilieu oder Schutzgelderpressung.

Am 23. Juni 1999 ereignete sich in Nürnberg ein weiterer versuchter Mordanschlag des NSU – einer breiten Öffentlichkeit wurde er aber erst rund 20 Jahre später bekannt: Mehmet O. überlebte das Attentat schwer verletzt, eine Rohrbombe war in der Herrentoilette seines gerade erst eröffneten Lokals platziert worden. Einzig aufgrund eines technisches Defekts, so stellte sich später heraus, zündete die Bombe nicht vollständig. Ermittelnde Beamt*innen suchten auch in Mehmets Fall nach möglichen Motiven in seinem näheren Umfeld, erst 14 Jahre später wurde klar, dass der NSU auch ihn hatte töten wollen. Welche Versäumnisse es während der Ermittlungen gab, soll nun ebenfalls im Rahmen des neu eingesetzten Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages behandelt werden.

Es ist in erster Linie der Verdienst zivilgesellschaftlicher Initiativen und Akteur*innen, dass nun z.B. in Bayern ein neuer Untersuchungsausschuss zum NSU eingesetzt worden ist. Diese Initiativen und Akteur*innen verlangen nicht nur nach weiterer Aufklärung – sondern auch nach konkreten Konsequenzen. Denn was genau wurde bisher unternommen, damit sich eine solche Mordserie nicht noch einmal wiederholt? Und vor allem: Würden die Ermittlungen heute anders verlaufen?