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Gleichzeitig entsteht dort auch eine Parallelwelt „alternativer“ Medien, in der gerade antisemitische Narrative sich schnell verbreiten.

Mit unserer Kampagne #GemeinsamgegenAntisemitismus wollte die Bildungsstätte ein Zeichen gegen Judenfeindschaft setzen – und die TikTok-Nutzer*innen einladen, gegen Antisemitismus laut zu werden. Im November produzierten sieben bekannte Creator*innen für uns Videos, in denen sie auf die vielfältigen und oft versteckten Aspekte von Antisemitismus eingingen. Wir sprachen mit der Kampagnenleiterin Danielle Jerry.

Liebe Danielle, wieso brauchte es diese Kampagne?
Menschen, die zum ersten Mal auf TikTok sind, sind oft überrascht von der Härte und der Aggressivität der Diskussion – gerade bei politischen Themen sind die Grenzen zu Hatespeech fließend. Die Hemmschwelle ist besonders niedrig, die gefühlte Anonymität hoch. Besonders jüdische Menschen erleben auf TikTok oft unverblümten Hass – der leider zu oft unwidersprochen bleibt. Es überrascht nicht, dass Jüdinnen und Juden das Medium meiden oder sich davon zurückziehen. Hier wollten wir ein deutliches Signal setzen.

Im November haben die sieben Creator*innen Solidaritäts-Videos produziert. Wie waren die Reaktionen?
Zunächst waren wir wirklich überwältigt von der Reichweite, die die Videos erzielten. Bis Mitte Dezember hatten sie insgesamt über zwei Millionen Views. Einige prominente Accounts haben sich der Kampagne direkt angeschlossen. Wir haben in kürzester Zeit unzählige Kommentare erhalten. Ein guter Teil lobte die Aktion – wir haben aber auch Wellen an Hass mitbekommen, dessen Heftigkeit uns überrascht hat.

Woher kam der Hass?
Ich würde sagen: etwa 50 Prozent waren organisierte deutsche Rechte. Die Accounts waren sehr gleichförmig, verwendeten oft das Blitz-Emoji, eine Anspielung auf SS-Runen. Ihnen ging es darum, Antisemitismus klein zu reden oder ihn rassistisch als ausschließliches Problem von Muslim*innen und Geflüchteten darzustellen. Diese Gruppe versuchte auch, unseren Account mit massenhaften Meldungen lahmzulegen. Eine andere Gruppe griff die Videos an, die sich mit israelbezogenem Antisemitismus befassen. Obwohl die Videos deutlich sagen, dass sich israelisches Regierungshandeln kritisieren lässt, ohne antisemitisch zu sein, gelang das den meisten Kommentierenden nicht. Wir erlebten eine Flut von Kommentaren, in denen Israel pauschal Blutgier und Mordlust vorgeworfen wurde. Zwischen israelischer Bevölkerung, der jüdischen Diaspora und der Regierung wurde nicht getrennt. Schnell kam es auch zu Verschwörungstheorien, etwa, dass uns „die Zionisten“ kontrollieren würden.

Wie habt ihr reagiert?
Ab einem bestimmten Zeitpunkt mussten wir die Kommentare schließen, es waren schlicht zu viele, wir konnten sie gar nicht mehr individuell lesen. Was uns allerdings sehr gefreut hat: Viele Nutzer*innen haben aktiv Counterspeech betrieben und den Hass-Accounts widersprochen. Auch die Creator*innen antworteten auf häufige Vorwürfe mit eigenen Videos.

Wie reagiert die Plattform selbst auf Antisemitismus?
Wir haben Accounts, die in unseren Augen eindeutig Hass verbreiten, bei TikTok gemeldet. Ein Teil dieser Accounts wurde recht schnell gelöscht – auf anderen Plattformen durchaus keine Selbstverständlichkeit. Eine erzieherische Wirkung scheint das aber nicht zu haben, die Leute können sich anscheinend schnell wieder neue Accounts anlegen. Und es kommt noch dazu, dass man aktiv melden muss: Die Arbeit liegt bei den Opfern von Hatespeech, TikTok selbst reagiert nur. Bei tausenden Hasskommentaren kommt man mit dem Melden nicht mehr hinterher, auch gibt es Defizite im Meldeverfahren selbst. Darüber haben wir TikTok unterrichtet, sie wollen es sich genau anschauen.

Was ist euer Fazit?
Die Aktion hat ein riesiges Echo erzeugt und viele Menschen erreicht. Aus den Kommentaren wissen wir, wie viele Menschen ehrlich daran interessiert sind, gegen Antisemitismus zu kämpfen, und fühlen uns durch sie bestärkt. Gleichzeitig sehen wir, dass das Wissen über Antisemitismus sehr gering ist – auf anderen Plattformen hört man z.B. das „Semiten-Argument“, also die Delegitimation der Begriffsbezeichnung, z.B. schon länger nicht mehr, auf TikTok ist es noch weit verbreitet. Es braucht mehr jüdische Creator*innen, die authentisch aus ihrem Leben berichten und die Mythenbildung verhindern; und sie brauchen die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Auch TikTok selbst muss etwas tun, hierzu stehen wir bereits mit Mitarbeiter*innen der Firma im Gespräch und haben den Eindruck, dass man hier durchaus noch etwas bewegen kann. Die Plattform braucht mehr menschliche Kontrolleur*innen, die im Umgang mit Hatespeech geschult sind, der Algorithmus ist oft überfordert. Zudem muss das Meldeverfahren überarbeitet werden – gefilterte Kommentare können beispielsweise nicht gemeldet werden. TikTok muss aber auch inhaltlich handeln: Es reichen keine symbolischen Aktionen und leere Diversitäts-Formeln. TikTok muss aktiv und aggressiv gegen Hatespeech vorgehen – und darf die Verantwortung nicht auf die Nutzer*innen abstreifen.

Wie geht´s weiter?
Als Bildungseinrichtung wollen wir unbedingt an dem Thema weiter dranbleiben. Im nächsten Schritt wollen wir vor allem Lehrkräfte schulen, mit dem Thema umzugehen. Und natürlich wird es weitere Videos von uns geben. Vielen Dank für das Gespräch!     

Kennen Sie schon unsere TikTok-Kampagne #GemeinsamgegenAntisemitismus?
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