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14. Februar 2022


Der Kampf um Aufklärung, Konsequenzen und gegen Rassismus dauert fort.

Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen bei einem rechtsterroristischen Anschlag in der Stadt Hanau, nahe Frankfurt am Main, getötet. Ihre Namen lauten: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.

Zwei Jahre sind seit dem Attentat von Hanau vergangen – doch weder sind alle offenen Fragen, welche die Hinterbliebenen, Freund*innen und Unterstützer*innen haben, vollständig und umfassend aufgeklärt, noch alle Konsequenzen gezogen worden. Ein seit Dezember 2021 öffentlich tagender Untersuchungsausschuss soll sich dieser Aufgaben nun annehmen, und die ersten vier Auftaktsitzungen zeugten in aller Deutlichkeit von dem Mut, dem Engagement und der Stärke der Angehörigen, die hier nicht nur als Befragte auftraten, sondern vor allen Dingen ihre Forderungen nach Antworten an die Parlamentarier*innen richteten.

Wie konnte es zu dem Anschlag kommen? Und wieso konnte er nicht verhindert werden? Es gab in der Diskussion und Analyse in den Tagen nach dem Attentat zahlreiche Deutungsansätze. Mögliche Kausalketten wurden dargestellt. Es ging um die psychische Verfassung des Täters, welche Einflüsse den Nährboden gebildet haben mussten für sein Handeln. Ein Mann, der seine menschenverachtende Weltanschauung zuvor sogar ganz öffentlich im Netz artikulierte, ermordete neun junge Menschen. Und er tat dies nicht willkürlich: Es sollte eine Botschaft ausgesendet, das Zugehörigkeits- und Sicherheitsgefühl ganzer Communitys erschüttert werden. Hanau war keine Einzeltat eines Einzeltäters – vielmehr bezeugt der Anschlag eine Kontinuität rassistischer und rechter Gewalt und das Fortbestehen von rassistischen Denkweisen und Handlungsstrukturen, die sowohl individuell als auch institutionell nach wie vor fest verankert sind.

Davon nun berichteten die Angehörigen im Rahmen des Untersuchungsausschusses. Dass sie überhaupt aussagen konnten – und dies zum Auftakt des Ausschusses – ist allein ihrem eigenen Engagement und dem von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen wie der Initiative 19. Februar in Hanau zu verdanken. Sie alle berichteten von der traumaunsensiblen Behandlung durch Polizei und Behörden, mit der sie sich sowohl während der Tatnacht als auch in der Folgezeit konfrontiert sahen. Alle erzählten von den Schwierigkeiten, Informationen über das Geschehene zu erhalten: Informationen darüber, was ihren Kindern, Geschwistern oder Partner*innen passiert war. Auch das Ausbleiben konkreter Hilfsangebote, die fehlende Ansprache durch offizielle Stellen und der Mangel an psychosozialer Notversorgung wurden in den jeweiligen Schilderungen mit klaren Worten thematisiert. Und dann noch ganz spezifische Fragen, die nach Antworten verlangen: Wieso funktionierte der Notruf in Hanau in der Tatnacht nicht? Wieso war der Notausgang an einem der Tatorte versperrt? Wie haben sich die Polizeikräfte vor Ort organisiert und welche Einsatzstrukturen waren eingerichtet worden? Oder wie einer der Angehörigen ganz konkret fragte: Gab es irgendein Konzept für einen solchen Anschlag – gibt es ihn heute?

Zwei Jahre später verlangen die Angehörigen außerdem, dass gerade auch politisch Verantwortung übernommen wird – als Konsequenz, aber auch, um das eindeutige Signal auszusenden, dass Behörden und Institutionen aus dem Attentat von Hanau gelernt haben. Rassismus und rassistische Strukturen passieren und funktionieren nicht allein auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene, sie spiegeln sich gleichermaßen innerhalb von institutionalisierten Abläufen wider. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass die Angehörigen dem Untersuchungsausschuss als Erste ihre Erlebnisse schildern, ihre Fragen artikulieren und ihre Forderungen aussprechen konnten. Ernsthaft und aufmerksam zuzuhören und die Perspektive der Betroffenen auf Augenhöhe wahrzunehmen und anzuerkennen ist ein wesentlicher Bestandteil eines notwendigen Prozesses, der eigene Rassismen erkennt und kritisch hinterfragt.

Aus Sicht der Opferberatung muss zu diesem erkennenden und reflektierenden Vorgang noch ein weiterer hinzukommen: jener der praktischen Umsetzung im Hinblick auf konkrete Bedürfnisse der Betroffenen. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt response begleitete und begleitet Angehörige, Überlebende oder anderweitig vom Anschlag Betroffene von Anfang an. Gerade was die materielle und finanzielle Existenzsicherung betraf und betrifft, lässt sich ein immenser und voraussetzungsreicher Aufwand feststellen, der den Prozess der Heilung eines derartigen Traumas zusätzlich erschwert. Dabei sollte gerade das Trauern und die Verarbeitung des Erlebten im Vordergrund stehen. Eine zentrale Forderung bleibt, Mechanismen und Hilfsstrukturen zu schaffen, welche sowohl rassistische Erfahrungen als auch Traumatisierungen auf angemessene Weise miteinbeziehen.

Die Einrichtung eines Opferfonds durch das Land Hessen, aus dem bereits sehr zeitnah erste Hilfszahlungen an Angehörige und Hinterbliebene geleistet wurden, ist in diesem Sinne absolut begrüßenswert. Die Tatsache, dass es sich dabei um keinen Fonds speziell für Opfer rechter und rassistischer Gewalttaten handelt, riskiert allerdings, dass die gesamtpolitische Dimension des Hanau-Anschlags aus dem Blick geraten könnte.

Das Attentat von Hanau ist nun also zwei Jahre her – für die Angehörigen gibt es aber keinen Schlusspunkt dahinter, und diesen darf es auch für die Gesellschaft nicht geben. Rassismus und Radikalisierung finden nicht in einem luftleeren Raum statt, in dem sich Einzelne zu solchen Taten entschließen. Sie entstehen innerhalb eines sozialen Gefüges, in dem rassistische, rechte und menschenfeindliche Einstellungen an Akzeptanz gewinnen. Dem mit einer klaren Haltung entgegenzuwirken und entgegenzutreten, bleibt der Auftrag, den die Erinnerung an die Menschen, die in Hanau ermordet wurden, erteilt.

In Hanau ruft die Initiative 19. Februar zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur*innen um 16 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz auf, die anschließende Demonstration wird zwischen zwei bis drei Stunden dauern. An beiden Tatorten – dem Heumarkt sowie dem Kurt-Schumacher-Platz – sind alle dazu eingeladen, an den zwischen 21.30 Uhr und 22.30 Uhr stattfindenden Gedenken teilzunehmen. Dabei werden wie im vergangenen Jahr Kerzen aufgestellt, auch können Blumen und Ähnliches niedergelegt werden.

Die Initiative 19. Februar Hanau präsentiert auf ihrer Webseite zudem eine Übersicht mit allen weiteren Kundgebungen, Demos und Gedenkveranstaltungen rund um den 19. Februar. Diese Übersicht wird fortlaufend aktualisiert.

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