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Kinderfilm-Rewatch:
Barbie-Trauma und Shrek forever
Während der Hype um Greta Gerwigs Barbie-Film die Kinosäle füllt, stelle ich mir die Frage: Wie sehr hat mich Barbie als Kind geprägt? Und was ist eigentlich mit den Franchise-Filmen von damals?
Seit 2001 flimmert die dünne Puppe mit den langen Beinen in unterschiedlichsten Rollen über die Kino-Leinwände und Fernsehbildschirme. Um mein persönliches Barbie-Trauma besser zu verstehen, habe ich mir einen der ganz alten Barbie-Filme noch einmal angeschaut: Barbie in Schwanensee (2003). Eine Mischung aus Märchen, Ballett und eben Barbie, die als Prinzessin Odette in einen Schwan verwandelt wurde.
Von König Rothbart verflucht, muss sie versteckt im Zauberwald leben, bis eines Tages ein Prinz zur Schwanenjagd aufbricht und Odette findet. Doch er findet sie viel zu schön, um sie zu töten – er ahnt, dass sich mehr hinter der Schwanengestalt verbergen muss. Mit der Kraft der Liebe rettet er Odette und hebt den Fluch auf. So viel zum Märchenkitsch. Ist doch schön? Leider nur auf den ersten Blick.
Antisemitische Stereotype werden bedient
Wenn ich mir heute den Bösewicht der Geschichte anschaue, gruselt es mich aus ganz anderen Gründen als früher: Die Darstellung von König Rothbart, der gemeinsam mit seiner Tochter Odile über den Zauberwald herrscht, ist aus meiner Sicht offen für antismitische Sterotype: Da wäre zunächst Rothbarts Machtmissbrauch gegenüber Kindern, die er mit dunkler Zauberkraft in Tiere verwandelt und sie in seinen Dienst stellt. Diese Beschreibungen erinnern an die antisemitischen Erzählungen von den „Ritualmorden“. Die Behauptung, Juden (1) würden aus rituellen Gründen christliche Kinder ermorden, wurde schon im Mittelalter verbreitet, um Jüdinnen*Juden Gewalt anzutun. Bis heute wird der Verschwörungsmythos in anderen Formen erzählt, etwa als QAnon-Ideologie, der zufolge „Eliten“ Kinder gefangen halten, um sie zu foltern und damit ein Verjüngungsmittel zu gewinnen.
(1) “Jude” gendern wir hier nicht, da es sich um eine antisemitische Konstruktion handelt, die keinen realen Bezug zu Jüdinnen*Juden hat.
Rothbart wird als rachsüchtiger und machthungriger Zauberer dargestellt, der sich zum König des ganzen Waldes aufschwingt, als er von den anderen Zauberern Ablehnung erfährt. Die Rache an der Welt, die ihn ablehnte, wird zu seiner Lebensaufgabe, deshalb verflucht er auch die Prinzessin. Zu allem Überfluss verfügen Rothbart und seine Tochter Odile über Zauberkräfte, durch die sie sich in andere Gestalten verwandeln können und schlüpfen regelmäßig in die Gestalt von Vögeln. Rothbart und Odile erinnern mich heute mit ihren auffällig großen, schnabelähnlichen Nasen an typisch antisemitische Darstellungen wie sie auch in Nazi-Propaganda verwendet wurden. Kindesmisshandlung, Rachlust, Machtgier und überzeichnete Nasen – wie kann es sein, dass das mir und vermutlich vielen anderen nie aufgefallen ist?
Antisemitisch überzeichnete Figuren gibt es in Film und Literatur und vor allem in Märchen in Hülle und Fülle - was nur selten hinterfragt wird. Die Märchen der Gebrüder Grimm werden heute wie vor hundert Jahren Kindern vorgelesen, obwohl die antisemitische Haltung der Märchenautoren inzwischen klar belegt ist. Solche literarischen Stereotype wirken fort und müssten gerade von Kinderfilm-Macher*innen kritisch hinterfragt werden. Immerhin passiert das heute mehr und mehr.
Eurozentrische Schönheitsideale
Barbie ist weiß, schlank, blond, hat blaue Augen und ist immer das Gute in Person. Alle positiv besetzten Charaktere sehen gleich aus. Als Kind habe ich nie wie diese Film-Barbie ausgesehen und Barbie hat nie so ausgesehen wie ich. Und damit bin ich nicht die einzige: Viele können sich in den eurozentrischen Schönheitsvorstellungen nicht wiederfinden. Was macht es mit einem Kind, wenn es nie so aussieht wie die Held*innen, aber dafür Ähnlichkeiten mit den Bösewichten feststellt? Denn die haben dunkle Haare und prominente Nasen und sind damit klar nicht-weiß codiert. Heute sehe ich, wie rassistisch diese unterschiedlichen Charakter-Darstellungen sind.
Besserung in Sicht?
In den letzten Jahren hebt der Barbie-Franchise zunehmend auf seine Diversität ab: Barbie ist alle und alle sind Barbie, zumindest in der Idealvorstellung. Natürlich macht es einen großen Unterschied, wenn Barbie nicht mehr nur weiß, schlank, blond und blauäugig ist. Viel mehr Kinder können jetzt mit den Puppen spielen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Auch in den Barbiefilmen und -serien hat sich in Bezug auf Repräsentation viel verbessert. Auch wenn es viel berechtigte Kritik am Barbie-Franchise gibt: Ich finde Repräsentation und Vielfalt in Medien machen einen Unterschied, vor allem bei Kindern, und die waren wir alle mal.
Märchen geht auch anders – Shrek, Subversion und Empowerment
Shrek ist grün, body-positive, queer und aus all diesen Gründen marginalisiert. Was als klassische Märchenerzählung samt Prinzessin in verwunschenem Turm, Fluch und ritterlicher Rettung beginnt, wird durch die Figur von Shrek dem Oger komplett auf den Kopf gestellt. Ungewollt wird er zum Ritter, der Prinzessin Fiona aus dem verwunschenen Turm rettet. Sie ist mit einem Fluch belegt, und verwandelt sich bei Sonnenuntergang in einen Oger. Durch den “Kuss wahrer Liebe” soll sie davon befreit werden - mit dem Erscheinen von Shrek ist dieser von Fionas Eltern orchestrierter Plan dahin. Fiona lernt durch Shrek ihr wahres Oger-Ich zu akzeptieren. Viele lesen in der Geschichte von Shrek und Fiona eine queere Liebesgeschichte. Fionas Oger-Ich symbolisiert in dieser Deutung ihr Queer-Sein, das von den Eltern so stark abgelehnt wird, dass sie es als Fluch ansehen. Indem sich Fiona entscheidet, ein Oger zu bleiben, löst sie sich von der heteronormativen und patriarchalen Prinz-Prinzessinnen-Geschichte.
Die Shrek-Filme sind voller Referenzen zu anderen bekannten Filmen, unter anderem zum Sci-Fi-Klassiker Matrix. Als Shrek von einer Robin-Hood-Parodie angegriffen wird, verteidigt ihn Prinzessin Fiona mühelos mit Martial Arts – und schwebt dabei in der Luft wie die Figur Trinity. Offensichtlich hat sie Shreks Schutz nicht nötig, im Verlauf der Erzählung begegnen sich die Charaktere immer mehr auf Augenhöhe. Matrix hat selbst eine queere Lesart, zu der meine Kollegin Anette einen spannenden Beitrag geschrieben hat – hier kannst du mehr lesen.
Shrek lebt an einem abgelegenen Ort, in einem Sumpf, in den die Märchencharaktere vertrieben werden, die nicht der “Norm" entsprechen. Um Shrek bildet sich eine Gruppe von Ausgesetzten, die im Laufe der Filme eine enge Freundschaft verbindet. Sie werden zur Familie – einer chosen family, die nicht von biologischer Verwandtschaft abhängig ist. Die queere Lesart sieht darin Parallelen zum Leben der queer community, in der sich viele eigene Gemeinschaften suchen - manche, weil sie von der eigenen Familie abgelehnt werden. Ähnlich wie in queeren Gemeinschaften, verbindet die ausgesetzten Märchenfiguren ihr geteilter marginalisierter Status.
Shrek als Identifikationsfigur
Bei Shrek werden die „Monster“ zu den „Guten“- die Gesellschaft, die sie ausschließt, erscheint „böse“. Diese Umkehrung der klassischen Rollenverteilung ist subversiv und das ist für marginalisierte Menschen empowernd. Unterschiedliche von Diskriminierung betroffene Gruppen finden sich in der Außenseiterrolle des Shrek wieder und erklären in Blogs oder TikToks, warum sie sich mit Shrek identifizieren können. Darunter sind jüdische Perspektiven, Beiträge von PoC oder Personen, die nicht den gängigen Körperidealen entsprechen.
Und wer sagt, dass Shrek nicht all das nebeneinander sein kann? Wenn dir der neue Barbie-Film nicht subversiv genug ist, empfehle ich dir, Shrek nochmal eine Chance zu geben!
Ein Beitrag aus der Reihe „(Un)hyped“ der Bildungsstätte Anne Frank.
Im Mai 2023 starteten wir unsere neue Reihe „(Un)hyped“. Dabei wollen wir in regelmäßigen Abständen Filme, Serien, Bücher, Games, Genres und andere popkulturell relevante Formate kritisch unter die Lupe nehmen und in Hinblick auf unsere Kernthemen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit untersuchen. Welcher Film ist gut gealtert – welcher schlecht? Und welche Serie ist so problematisch, dass sie vielleicht einfach gecancelt werden sollte? Unterschiedliche Kolleg*innen der Bildungsstätte teilen ihre Perspektiven.