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Im Interview berichtet sie von den Fortbildungen mit Polizei und Sicherheitsbehörden zum Umgang mit Antisemitismus und Rassismus.

Mal ganz naiv gefragt: Warum ist es wichtig, dass bei der Polizei Bildungsarbeit zu Rassismus und Antisemitismus stattfindet?

Rassismus und Antisemitismus sind in der gesamten Bevölkerung vorhanden, auch in der Polizei. Die Polizei hat aber eine besondere Aufgabe: Als staatliches Organ mit Gewaltmonopol soll sie die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft einhalten und durchsetzen. Rassismus, Antisemitismus und Rechtspopulismus stehen diesen Werten entgegen, deswegen brauchen Sicherheitsbehörden eine hohe Kompetenz, diese Probleme zu erkennen und zu vermeiden. Darum bieten wir speziell für Polizei und Sicherheitsbehörden Fortbildungen zum Umgang mit Diskriminierung an.

Wie geht Ihr dabei vor?

Wir versuchen vor allem bei denjenigen anzudocken, die schon ein Bewusstsein für Probleme haben. Denn diese Menschen kann ich stärken und mit ihnen überlegen, was sie in der Institution für Möglichkeiten haben, was es jenseits der Fortbildung braucht und an wen sie sich mit ihren Forderungen richten können. Wenn ich diese Menschen empowern kann, sodass sie sich selbst für Verbesserungen in der Institution einsetzen, ist schon viel erreicht. Es ist sehr wichtig, dass wir mit Polizei und Sicherheitsbehörden arbeiten – ich denke, dass es ein starkes Moment ist, wenn sich diese Institutionen für eine Organisation von außerhalb öffnen.

Dass die Polizei mehr als nur ein Problem mit mangelnder Sensibilität hat, zeigt sich immer wieder drastisch – mit rechten Chatgruppen oder Fällen von Polizeigewalt. Was ist da mit Bildungsarbeit überhaupt zu retten?

An diesem Punkt muss man ganz ehrlich sein: Bildungsarbeit allein kann es nicht richten. Wir wissen aus der einschlägigen Forschung, dass bei der Polizei Menschen, die bereits rassistische oder antisemitische Einstellungen haben, auf ein System treffen, das diese Haltungen begünstigt. Das beginnt schon bei Einstellungsverfahren: Tendenziell ziehen Strukturen wie Bundeswehr und Polizei Menschen mit konservativen Werten an, was sich oft mit rechtspopulistischem und rassistischem Gedankengut überschneidet. Wenn diese Personen nicht im Einstellungsverfahren aussortiert werden, können sie sich innerhalb der Polizei radikalisieren, zum Beispiel in speziellen Chatgruppen, in denen gezielt rassistische Aussagen geteilt werden und die ein starkes Verbundenheitsgefühl schaffen. Dass solche Gruppen nicht gut kontrolliert werden, hat sich am Fall des 1. Frankfurter Reviers gezeigt, wo seit 2014 in einer Chatgruppe menschenverachtende Inhalte geteilt wurden. Innerhalb der Polizei fehlt es an Beschwerdemöglichkeiten für Beamt*innen, die zum Beispiel etwas von solchen Gruppen und rassistischen Äußerungen mitbekommen.

Mit diesen strukturellen Problemen hadern wir, wenn wir im Sicherheitsbereich politische Bildung anbieten. Denn wir arbeiten auf der Einstellungsebene und können damit die Strukturen nicht ändern. Deshalb finde ich es wichtig, nicht nur Bildungsarbeit zu machen, sondern auch politischen Druck auszuüben, damit sich insgesamt etwas ändert.

Wie zeigen sich diese Probleme in den Workshops?

In den Workshops erleben wir sowohl positive Reaktionen als auch große Abwehr. Manche freuen sich über unsere Präsenz und bemängeln, dass sie im Alltag keine Ansprechpersonen haben, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Andere sehen dagegen gar kein Problem mit Rassismus bei der Polizei – sie hätten schließlich einen Eid auf das Grundgesetz geschworen, und wüssten, was rechtens ist. Sie fühlen sich in die rechte Ecke gedrängt und empfinden Rassismuskritik als persönlichen Angriff, wie viele Personen in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig denken solche Beamt*innen oft nur in den Kategorien von strafbar und nicht strafbar. Sie wissen sehr genau, dass man kein Hakenkreuz malen darf, erkennen aber einen rassistischen Witz nicht als Werteverletzung - schließlich ist das nicht justiziabel. Das Urteil zu der rassistischen Chatgruppe in Frankfurt …

… Polizisten eines Frankfurter Reviers sollen rechtsextremistische, rassistische, antisemitische und menschenverachtende Inhalte in einer Chatgruppe ausgetauscht haben, darunter Hakenkreuz-Bilder und Holocaust-Verharmlosung. Die Inhalte zielten auf Beleidigung, Verleumdung und Verächtlichmachung vor allem von Menschen mit Einschränkungen oder Migrationshintergrund, Homosexuelle, Juden und Muslime. Das Landgericht hält das nicht für strafbar.

… ist darum auch ein fatales Signal: Es bestärkt die Haltung, dass solche Aussagen in Ordnung sind. Dabei handelt es sich um eine Verletzung des Gleichwertigkeitsprinzips.

Wir versuchen deshalb, deutlich zu machen, dass eine Aussage auch dann rassistisch sein kann, wenn sie laut Gericht unter die Meinungsfreiheit fällt. Rassismus ist ein Problem der gesellschaftlichen Mitte und verletzt die Werte des Grundgesetzes, das versuchen wir den Sicherheitsbehörden zu vermitteln.

Was ist das Ziel von Bildungsarbeit mit Polizei und Sicherheitsbehörden?

Wir versuchen vor allem bei denjenigen anzudocken, die schon ein Bewusstsein für Probleme haben. Denn diese Menschen kann ich stärken und mit ihnen überlegen, was sie in der Institution für Möglichkeiten haben, was es jenseits der Fortbildung braucht und an wen sie sich mit ihren Forderungen richten können. Wenn ich diese Menschen empowern kann, sodass sie sich selbst für Verbesserungen in der Institution einsetzen, ist schon viel erreicht. Ich würde darum nie aufhören, mit Polizei und Sicherheitsbehörden zu arbeiten – ich denke, dass es ein starkes Moment ist, wenn sich diese Institutionen für eine Organisation von außerhalb öffnen.

Was müsste sich sonst noch ändern, damit struktureller Rassismus und Antisemitismus in der Polizei verschwindet? Kann Bildungsarbeit das leisten?

Das Thema müsste in der Polizei strukturell verankert und auch verpflichtender Teil der Ausbildung sein, nicht nur unter Schlagwörtern wie Diversität und interkulturellem Lernen. Es braucht außerdem politischen Druck, der die strukturellen Probleme benennt. Wir brauchen eine ehrliche Auseinandersetzung und ein klares politisches Bekenntnis, dass es nicht mit Fortbildungen getan ist, sondern strukturelle Veränderung braucht.

Wie kann diese strukturelle Veränderung aussehen?

Wir müssen über die Strukturen und den Auftrag der Polizei nachdenken. Dafür können wir zum Beispiel in die Niederlande schauen: Dort wurde dieses Jahr ein Urteil gefällt, das Racial Profiling verbietet – also die polizeiliche Praxis, dass Menschen ausschließlich aufgrund von äußerlichen Merkmalen kontrolliert werden. Die Frage, wie die Polizei für Sicherheit sorgen kann, statt Racial Profiling zu betreiben, ist auch für die deutsche Debatte wichtig. Denn Racial Profiling bewirkt für die Betroffenen das Gegenteil von Sicherheit, für sie wird der öffentliche Raum durch rassistische Kontrollen zu einem unsicheren Ort.

Wenn man Rassismus in der Polizei verhindern will, muss man sich auch Lehrmaterialien ansehen. Dort sind ethnische Zuschreibungen und Stereotypisierungen von Personengruppen an der Tagesordnung. Wenn das hinterfragt und überarbeitet wird, wäre das schon ein Anfang. Außerdem kann man versuchen, die Polizei für diversere Personengruppen attraktiv zu machen: Indem man klarmacht, dass Rassismus keinen Platz in diesen Strukturen hat. Wir erwarten von den Behörden, sich dazu zu bekennen, dass Rassismus und Antisemitismus auch ein Problem der Polizei sind und interne Weiterentwicklung als Chance zu sehen, alle Mitbürger*innen schützen zu können.

Was ist dein persönlicher Ausblick auf die Zukunft der Polizei?

Mein Ausblick bewegt sich zwischen Frustration und vorsichtigem Optimismus. Urteile wie aktuell im Fall der rassistischen Chatgruppe im 1. Frankfurter Revier frustrieren mich ungemein. Denn genau dieses Beispiel war in unseren Seminaren oft Thema und jetzt entscheidet ein Gericht, dass die Aussagen im Chat der Meinungsfreiheit unterliegen und nicht problematisch sind, u.a. weil sie in einem internen Raum geäußert wurden. Dabei ist das Teil des Problems – Radikalisierung findet in engen Zirkeln statt, die zu wenig kontrolliert werden. Statt die Werteverletzung anzuprangern, sendet das Urteil das falsche Signal. Auch wegen solchen Urteilen braucht es einen stärkeren politischen Fokus auf die Probleme in der Polizei. Denn – was mich zuversichtlich stimmt – es gibt viele Kräfte in der Polizei, die diese Probleme sehen und benennen, die auch ein Bedürfnis haben, Strukturen zu verändern. Natürlich ist das nicht einfach, weil es sich um lange gewachsene Behörden handelt, und genau deshalb braucht es Druck von der Politik. Solange es den nicht gibt, können wir mit unserem Bildungsangebot immerhin die Polizist*innen unterstützen, die bereits ein Bewusstsein für rechtes Gedankengut und Rassismus in der Polizei haben.


19. Streitbar: Polizei
Mit Polizeikritik beschäftigen wir uns auch in der nächsten Streitbar. Seid dabei!

Wie lautet eine strategisch sinnvolle Polizeikritik zu einer Zeit, da die Probleme oft noch als „Einzelfälle“ verharmlost werden, Polizist*innen ungebrochen vom Image des „Freund und Helfers“ zehren können - und sich mit der AfD ein extrem rechter Akteur als „Polizistenpartei“ aufstellen konnte? Ist die Polizei noch zu retten?

Donnerstag, 25. Mai 2023
19 Uhr, Einlass ab 18:30 Uhr
Bildungsstätte Anne Frank

Mit Thilo Cablitz und Daniela Hunold
Moderation: Hadija Haruna-Oelker

Mehr Infos: bsaf.info/streitbar


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