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Die fünfteilige Miniserie „Deutsches Haus“ von Showrunnerin Annette Hess wurde Ende 2023 veröffentlicht und erzählt von dem ersten Frankfurter Auschwitzprozess (1963-1965), der von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiiert wurde.

Angeklagt waren 22 Täter, die sich im KZ Auschwitz in unterschiedlichen Funktionen der NS-Verbrechen schuldig gemacht haben. Hauptfigur der Serie ist die junge Dolmetscherin Eva, die erst während des Prozesses ein Bewusstsein für das Ausmaß der Verbrechen und die Involviertheit ihrer eigenen Eltern entwickelt.

Unsere Kollegin Anette hat sich die hochgelobte Miniserie angeschaut und findet sie ebenfalls sehenswert. Warum? In unserem Beitrag listet sie fünf Gründe dafür auf.

Worum geht es in „Deutsches Haus“?

Die Miniserie „Deutsches Haus“ basiert auf dem gleichnamigen Roman (2018) von Annette Hess, die nun als Gesamtverantwortliche der filmischen Umsetzung fungierte. Im Mittelpunkt der Handlung steht die junge Polnisch-Dolmetscherin Eva Bruhns, die Ende 1963 angefragt wird, um bei einem Prozess die Zeug*innenaussagen Shoah-Überlebender zu übersetzen. Bereits bei der ersten Befragung eines Zeugen stellt sich heraus, dass Eva keinerlei Kenntnis von den Gräueltaten der Nazis hat, als sie „vergasen“ versehentlich mit „erleuchten“ übersetzt. Sie bekommt von einem der Staatsanwälte die Empfehlung, sich vor dem Prozess das „notwendige Vokabular“ anzueignen: „alle denkbaren Wörter dafür, wie man Menschen töten kann“.

„Deutsches Haus“ als Sinnbild für Verdrängung der kollektiven Schuld

Eva ist zunächst irritiert, später entsetzt und beginnt sich zu fragen: Was ist im Krieg wirklich passiert? Eva steht prototypisch für die Nachkriegsgeneration, die anfängt nachzubohren und sich mit der Beteuerung „Wir haben nichts gewusst“ nicht mehr abspeisen lässt. Dabei kommt sie auch den Verstrickungen ihrer eigenen Eltern in der NS-Mordmaschinerie auf die Spur, den freundlichen Besitzern der Gaststätte „Deutsches Haus“.

Der Name des Lokals kann in der Serie somit als Sinnbild für die Verdrängung der Shoah in der deutschen Gesellschaft verstanden werden, wo zwischen Schweinshaxen, deutscher Gemütlichkeit und piefiger Spießigkeit die eigene Schuld unter den Teppich gekehrt und weggeschwiegen wird.

Authentische Darstellung des Auschwitzprozesses

Auch wenn die Geschichte von Eva und ihren Eltern fiktional ist und sie vor allem als Prototypen dienen, um den gesellschaftlichen Zustand der Verdrängung und Revolte dagegen zu verdeutlichen – der erste Auschwitzprozess, der etwa ein Drittel der Handlung ausmacht, wird von Annette Hess möglichst authentisch, wenn auch verdichtet dargestellt. In einem Interview mit dem NDR erklärt sie: „Es gab beispielsweise sieben Verteidiger und wir haben nur zwei. Aber ich habe die Originalaussagen von den Zeuginnen und Zeugen genommen und sie wortwörtlich übertragen. […] Der Prozess wird so dargestellt, wie er gewesen ist.“

Somit wären wir auch schon bei den fünf Gründen, die sie Miniserie empfehlenswert machen.

Grund 1: Historische Wissensvermittlung zum Auschwitzprozess

Der erste Frankfurter Auschwitzprozess bildete eine wichtige Zäsur in der deutschen Geschichte, denn er konfrontierte die deutsche Bevölkerung öffentlich mit den Verbrechen des NS-Regimes und ihrer eigenen Mitschuld. Dieser Meilenstein im Kampf gegen die Verdrängung ist vor allem dem jüdischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu verdanken, der sich der „Schlussstrichmentalität“ der Nachkriegsgesellschaft (die bis heute in bestimmten Kreisen vorherrscht) hartnäckig entgegensetzte und sich damit viele Feinde machte. Eine Stärke der Serie „Deutsches Haus“ ist somit zum einen die niedrigschwellige Wissensvermittlung zum Prozess, die zur tieferen Auseinandersetzung damit einlädt.

Zum anderen bildet die Serie eindrücklich die Stimmung der Nachkriegsgesellschaft ab, in der der Antisemitismus weiterhin in vielen Köpfen präsent war und in der eine massive Abwehrhaltung gegen die Aufarbeitung der Shoah vorherrschte.

Grund 2: Aktualität der Serie vor dem Hintergrund des heutigen Rechtsrucks

Hess hatte nicht vor, ihren Roman zu verfilmen, doch der Aufstieg der AfD hat ihre Meinung geändert: „Ich wollte, dass das Thema noch mehr Menschen erreicht.“ Eine gute Entscheidung, denn wenn Demokrat*innen heute auf Demos „Nie wieder ist jetzt“ skandieren und sich gegen die AfD und ihre menschenfeindliche Ideologie auflehnen, so tun sie das, weil sie wissen, was „nie wieder“ passieren soll. Zu diesem essenziellen Geschichtsbewusstsein kann auch eine Serie wie „Deutsches Haus“ einen Beitrag leisten.

Grund 3: Eva als Identifikationsfigur

Zu Beginn der Handlung ist die Hauptfigur Eva naiv und unwissend in Hinblick auf die Verbrechen der Nationalsozialisten. Tatsächlich erfuhren viele junge Menschen in den 1960ern durch den Prozess erstmals von Dingen, über die ihre Eltern und Großeltern nie gesprochen hatten. Aus meiner Sicht ist dieser narrative Kniff eine Stärke der Serie. Denn gemeinsam mit Eva, die sich auch zunächst das richtige Vokabular für die Gräueltaten beim Übersetzen aneignen muss, können sich so insbesondere Jugendliche, die sich noch nicht oder nicht sehr intensiv mit der Shoah und dem Prozess beschäftigt haben, an das Thema annähern, z.B. wenn die Miniserie im Unterricht geschaut und besprochen wird. 

Grund 4: Geschickter Einsatz von Stilmitteln

Die Miniserie bricht wiederholt mit gängigen Erzählweisen und nimmt sich in entscheidenden Momenten respektvoll Zeit, so z.B. bei der fünfminütigen Verlesung der Anklage durch den Gerichtssprecher, der atemlos und deutlich mitgenommen von dem tausendfachen Mord berichtet. Oder als eine Delegation nach Auschwitz reist und eine Schweigeminute für die Opfer einlegt, in der auch die Erzählung für genau eine Minute stoppt. Zugleich arbeitet die Serie mit einem starken Spannungsbogen und deutet viele Geheimnisse der Protagonist*innen an, die man als Zuschauer*in ergründen möchte. Jede Folge endet mit einem Cliffhanger, der das Publikum trotz der schweren Thematik zum Weiterschauen animiert. Der Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung gelingt zwar nicht immer, aber in sehr großen Teilen.

(SPOILER!)
Grund 5: Verweigerung der einfachen „Wiedergutwerdung“


Zu den stärksten Szenen der Miniserie gehört für mich eine der letzten: Evas Besuch bei einem jüdisch-polnischen Friseur, der als KZ-Häftling in Auschwitz inhaftiert war. Getrieben von Schuldgefühlen, bittet sie ihn, ihr die Haare abzurasieren – eine ebenso hilflose wie abstruse Geste der Wiedergutmachung für die Taten der Elterngeneration. Doch er verweigert und sagt: „Das steht dir nicht zu.“ In dieser Szene macht die Serie deutlich, dass eine „Wiedergutwerdung“ der NS-Gräueltaten weder eingefordert noch durch einen befremdlichen Akt der Buße erzwungen werden kann. Eva kann sich nicht selbst zum Opfer machen – es „steht ihr nicht zu“. Damit wird sowohl Eva als auch den Zuschauenden ein gefühliger Trostmoment verweigert.

Interessant ist auch, dass 2004 das Fritz Bauer Institut in Kooperation mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, dem Hessischen Hauptstaatsarchiv und dem Deutschen Rundfunkarchiv die Transkription des 430-stündigen Mitschnitts des ersten Auschwitz-Prozesses sowie 100 Stunden O-Ton ausgewählter Vernehmungen veröffentlicht hat. Diese findet ihr hier: Tonbandmitschnitt des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses 

Empfehlenswert in diesem Kontext sind auch die Filme „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und „Das Labyrinth des Schweigens“. 


Ein Beitrag aus der Reihe „(Un)hyped“ der Bildungsstätte Anne Frank. 

Im Mai 2023 starteten wir unsere neue Reihe „(Un)hyped“. Dabei wollen wir in regelmäßigen Abständen Filme, Serien, Bücher, Games, Genres und andere popkulturell relevante Formate kritisch unter die Lupe nehmen und in Hinblick auf unsere Kernthemen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit untersuchen. Welcher Film ist gut gealtert – welcher schlecht? Und welche Serie ist so problematisch, dass sie vielleicht einfach gecancelt werden sollte? Unterschiedliche Kolleg*innen der Bildungsstätte teilen ihre Perspektiven.