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13. April 2022


Wer einen TikTok-Account hat, konnte direkt nach dem Einmarsch Putins in die Ukraine die ersten Videos vom Angriff sehen. Unmittelbar und ungefiltert ist der Krieg über die App direkt erlebbar. Aber was über die Bildschirme läuft, entspricht nicht immer der Wahrheit und Realität.

TikTok-Live: POV-Einstellung, das Bild wackelt, Schluchzen ist zu hören, hektisches rennen von Raum zu Raum. Wir sehen, wie Taschen und Koffer gepackt werden, schneller Schritt zum Fenster, Blick raus auf die Straße; wir befinden uns in einem Hochhaus. Neben dem Schluchzen hört man Schüsse und Sirenen. Der Ablauf wiederholt sich, während die Kommentare schnell nacheinander reinkommen: Viele Zuschauer*innen erkennen, dass es sich um ein Fake-Video handelt; andere jedoch nicht.

Das Live-Video wird gemeldet und die Übertragung schließlich beendet. Täglich tauchen neue Videos auf; viele davon Fakes, die Bild- und Audiomaterial verwenden, das aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Ziel solcher Videos ist es oft, Views und Likes zu generieren – und somit Geld zu verdienen. Aber es geht auch um die gezielte Platzierung von Falschinformationen, darum, die Meinung der Öffentlichkeit in die eine oder andere Richtung zu lenken. Nicht erst seit heute ist Social Media für viele die wichtigste Informationsquelle. Die Macht der Bilder ist besonders auf TikTok zu spüren, denn auf keiner anderen Plattform kann ein Video so schnell viral gehen. Im Vergleich zu Facebook und Co. passiert dies ungefiltert und ohne Kontext: Auch wenn man zuvor keine Videos zur Ukraine oder Russland gesehen oder geliked hat, können solche Clips plötzlich auf der eigenen ForYou-Page auftauchen.

Viele schätzen TikToks Algorithmus: Relativ schnell bekommt man Content angezeigt, der perfekt zu den eigenen Interessen passt. Die eigene Content-Bubble kann aber auch zu einer gestörten Wahrnehmung der Realität führen. Seit der Einführung des neuen Mediengesetzes zur Verbreitung von Falschnachrichten kann in Russland auf TikTok kein neuer Content hochgeladen werden. Die Accounts von Creator*innen aus dem Ausland sind gesperrt und Videos werden gefiltert. Somit zeigt TikTok in Russland eine heile Welt aus einer Zeit vor dem Krieg. Wie genau dies aussieht, zeigt die Analyse One App – Two Worlds der Norwegian Broadcasting Corporation.

TikTok ist eine besonders niederschwellige Plattform, die leicht Bilder und damit verbundene Emotionen streuen kann. Somit ist sie perfekt geeignet für Desinformation und Propaganda. Mit dem Abschalten von Lives aus Russland und der Einführung der Kennzeichnung „staatlich kontrollierte Medien” versucht der Anbieter die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Am Ende lassen sich aber auch solche Maßnahmen leicht umgehen, etwa durch das Nutzen von VPNs oder dem Set-up eines neuen Accounts.

TikTok wird wohl nicht hinterherkommen können Fake News zu unterbinden; somit ist es vor allem auch Aufgabe der User*innen Content kritisch zu hinterfragen und zu melden. Es ist besonders wichtig, Videos im Zusammenhang mit dem Krieg nicht einfach zu teilen. Für User*innen gibt es Möglichkeiten, Videos auf ihre Echtheit zu prüfen:

1. Account-Check: Ist der Account neu und wie sehen die vorherigen Videos aus? 
2. Audio-Check: Ist der Sound von einem anderen Account hochgeladen worden und wird in einem anderen Zusammenhang verwendet?
3. Kommentar-Check: Haben andere User*innen den Clip schon als Fake News ausgerufen?

Neben dem eigenen kritischen Blick auf TikToks, die User*innen auf der ForYou-Page angezeigt werden, gibt es Webseiten, die Content analysieren, einordnen und so mit Falschinformation aufräumen. Gute Anlaufstellen sind unter anderem: CORRECTIV, der Tagesschau Faktenfinder, Mimikama und Bellingcat. Aber auch auf TikTok selbst gibt es Accounts, wie etwa Facts for Friends, die sich mit Fake News beschäftigen. Auch wenn es auf TikTok viele Probleme mit manipulierten Videos im Zusammenhang mit dem Krieg gibt, die Plattform ist für die Betroffenen, die sich noch in der Ukraine aufhalten oder flüchten mussten, eine Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten und mit der Welt zu teilen.

Quellen: 
ZEIT, 08.04.2022, Fake News auf TikTok 
Fortune, 08.04.2022, TikTok slammed for videos sharing false information about Russia’s war on Ukraine 
Handelsblatt, 08.04.2022,, Fake News im Schnelldurchlauf – Tiktok wird zum gefährlichen Schauplatz des Krieges  
TikTok Newsroom, 08.04.2022. Mehr Kontext zu Inhalten auf TikTok