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Es gibt viel Streit darüber, wie die Stimmengewinne der AfD zu erklären sind – und was jetzt zu tun ist. Wir sind überzeugt: Wir müssen die Strategien kennen. Im folgenden Beitrag fassen wir 3 Strategien der rechten Diskursverschiebung zusammen.

Die Wahlprognosen für die sind AfD erschreckend: In manchen Bundesländern ist sie schon stärkste Kraft, im Bund erzielt sie oft den zweiten Platz. Die Brandmauern auf Bundesebene bröckeln, zuletzt stimmten CSU-Abgeordnete für AfD-Anträge. Dabei hat sich die Partei in den vergangenen Jahren immer weiter radikalisiert. Nur zwei bekannte Beispiele: Mit Tino Chrupalla hat sie einen Bundessprecher, der Holocaustleugnern Interviews gibt; seine Kollegin Alice Weidel beleidigte eine Holocaust-Überlebende als “Muttis Freundin” (gemeint ist Angela Merkel) und fabuliert von “Kulturmarxisten” – eine gängige antisemitische Chiffre, die eine jüdisch-marxistische Weltverschwörung imaginiert.

‌Es gibt viel Streit darüber, wie die Stimmengewinne der AfD zu erklären sind – und darüber, was jetzt zu tun ist. Wir sind überzeugt: Wir müssen die Strategien der AfD kennen, um ihnen entgegentreten zu können.

Strategie 1: Bürgerlichkeit zur Schau tragen & Tone Policing betreiben

Die AfD fährt eine Doppelstrategie: Während sie sich in Parlamenten und Talkshows moderat gibt, sammelt sie in den Bierzelten rechtsextreme Gruppierungen ein, schürt den Hass in halböffentlichen Facebook-Gruppen und Telegram-Kanälen. Auf TikTok haben die AfD und ihre Unterstützer*innen die größte Reichweite aller Parteien; hier wird bewusst mit Verschwörungserzählungen und extrem rechten Codes gespielt. 

In der Öffentlichkeit hingegen ist der Ton ruhig, gelassen; es wird viel Anzug getragen, auf Manieren und Bildung angespielt. Werden AfD-Politiker*innen öffentlich scharf angegriffen, erfahren sie deswegen oft indirekte Unterstützung – man müsse sie “fair” und “höflich” behandeln, “sachlich” kritisieren. Diese Strategie nennt sich „Tone Policing“ – sie sorgt dafür, dass in der Öffentlichkeit nicht die AfD als aggressiv und undemokratisch wahrgenommen wird, sondern ihre Kritiker*innen.

Strategie 2: Inszenierung als Sprachrohr der “normalen Leute”

Eine typische Strategie ist auch der Appell an “Normalität”: Man vertrete ja nur, was “die Menschen”, “die einfachen Leute” denken würden. Dabei wird ein Feindbild konstruiert: 
Die „normalen Leute“ stehen vermeintlich „privilegierten“ Personen gegenüber, die nur „Luxusprobleme“ hätten – Gender, Klima, Rassismusbekämpfung etc. 
Dabei fällt auf, dass das Programm der Professorenpartei AfD mit seinen sozialen Härten besonders zu Lasten der “einfachen Leute” geht. Die “Normalität” der “einfachen Leute”, von der die AfD spricht, gibt es gar nicht – es ist eine rhetorische Konstruktion, die bewusst bestimmte Gruppen ausschließt. Denn natürlich gibt es auch schwule Lageristen oder Schwarze Call-Center-Mitarbeitende, die sich “ganz normal” gegen Rassismus engagieren – die sind aber nicht gemeint. Gemeint sind vielmehr weiße, cis-heterosexuelle Männer, die sich lediglich als unterprivilegiert empfinden.  

Strategie 3: Debatten aus den USA importieren & symbolische Kämpfe führen‌ 

Besonders während der Pandemie war auffallend, wie schnell die AfD Debatten aus den USA für Europa adaptiert hat. Der Verschwörungsmythos QAnon fand in AfD-Kanälen besonders starken Widerhall; auch der aggressive Kulturkampf der Republikaner gegen die Gleichstellung von trans* Personen wird eins zu eins auf deutsche Verhältnisse übertragen. Das lohnt sich für die AfD gleich in zweierlei Hinsicht: Alle nötigen Kommunikationsmaterialen, Memes, Artikel etc. sind schon da, müssen nur noch angepasst und übersetzt werden. Gleichzeitig ziehen diese Adaptionen auch internationale Unterstützer*innen an, die mehr Reichweite bringen. Internationale rechte Netzwerke, oft mit breiter finanzieller Förderung, sind ein reales Phänomen, es wird von einem “Internationalismus der Nationalisten” gesprochen. 

Diese Debatten haben dabei oft Stellvertretungsfunktion: Beispielsweise markiert die AfD aggressiv trans* Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, und liefert sie ihren Anhänger*innen aus, die sie mit beißenden Kommentaren und Hassnachrichten überziehen – ganz gleich, ob sich diese Personen politisch äußern oder nicht. Dabei geht es nicht um eine politische Debatte, sondern um kulturelle Hegemonie: Personen sollen Angst haben, mit bestimmten Ansichten (oder auch nur Eigenschaften) in die Öffentlichkeit zu treten. Einmal eingeschüchtert, ist es umso leichter, die Stimmen dieser Gruppen als unbedeutend wegzuwischen. 

Wie die Strategien aufgehen: Konservative & liberale Parteien übernehmen rechte Themen 

Leider lässt es sich nicht anders sagen: Die Brandmauern der konservativen und liberalen Parteien gegen rechts sind oft extrem dünn. Aktuell überlegen CDU, CSU und FDP, durch die Übernahme von AfD-Positionen in ihren Programmen Wähler*innen zurückzugewinnen. Ein gefährliches Spiel: Im internationalen Vergleich hat diese Strategie den Rechten nie geschadet, sondern ihnen höhere Legitimität verliehen. In solchen Überlegungen werden grundsätzlich nicht die sozialen Folgeschäden mit einbezogen: Selbst, wenn es gelingt, mit einem rassistischer Wahlkampf AfD-Stimmen zurückzugewinnen, wird die Gesellschaft dabei trotzdem rassistischer.

Schon jetzt ist zu beobachten, wie sich insbesondere die Unionsparteien programmatisch im Eilverfahren radikalisieren: Maaßen darf weiter in der Partei bleiben, ein Hardliner wird neuer Generalsekretär. Besorgniserregend auch das wachsende queerfeindliche Grundrauschen, das u.a. mit freundschaftlichen Besuchen bei Floridas Gouverneur DeSantis zelebriert wird. Gleichzeitig werden liberalere Stimmen in der eigenen Partei wie Ruprecht Polenz ausgegrenzt. 


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