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Wir haben die beiden Experten Dr. Hanno Loewy und Alex Feuerherdt um ihre Einschätzung gebeten. An dieser Stelle finden Sie das Interview mit Dr. Hanno Loewy.

Inwiefern stufen Sie BDS als antisemitisch ein?

Dr. Hanno Loewy: BDS ist sicher in vieler Hinsicht hochgradig problematisch. Aber nicht, weil die Bewegung per se antisemitisch wäre, sondern weil sie nationalistische Polarisierung befördert.

Die zentralen Forderungen sind widersprüchlich: die Kernforderung nach der Befreiung „arabischen Landes“ widerspricht der Forderung nach Gleichberechtigung – und ist Ausdruck eines nationalistischen Anspruchs auf das gesamte Territorium. Das Land um das es geht war aber in seiner Geschichte die Heimat der unterschiedlichsten Völker und Individuen. Und es gibt daher weder einen quasi natürlichen noch einen religiösen Anspruch auf exklusive Souveränität.

Die Mittel zur Erreichung der BDS-Forderungen sind zum Teil toxisch: sie vergiften die Kommunikation und die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Das gilt vor allem für die Formen kulturellen Boykotts, die sich (trotz des Postulats, auf staatliche Einrichtungen bezogen zu sein) vorwiegend gegen jüdische Individuen richten.

BDS erweist sich aber nicht zuletzt als Mittel der Einschüchterung gegenüber Palästinenser*innen, die an jeder Zusammenarbeit mit Israelis gehindert werden sollen. Jeder Versuch, gemeinsame Strukturen aufzubauen, die Auswege aus dem nationalistischen Patt beider Seiten eröffnen könnten, wird so torpediert.

Es ist oft schwer zu sagen, wer zu BDS gehört. Es wird von BDS-Unterstützer*innen, BDS-Verteidiger*innen, BDS-Versteher*innen, BDS-Nahen usw. gesprochen. Wo ist es sinnvoll eine Grenze zu ziehen? Wem sollte man ein Podium bieten und wem nicht?

Dr. Hanno Loewy: Die Anti-BDS-Kampagnen der israelischen Regierung unterliegen der gleichen Logik wie BDS: Es geht um nationalistische Polarisierung und die Zerstörung von Kommunikation und möglichen Allianzen, quer zu den Schützengräben des Konflikts. Die Anti-BDS-Kampagnen in Deutschland machen sich diese Bürgerkriegslogik zu eigen. Es geht hier vor allem darum, jede Berührung mit Palästinenser*innen und ihrer Perspektive auf den Konflikt per se als antisemitisch zu stigmatisieren. Zumeist richten sich die entsprechenden Forderungen nach einem Boykott von Künstler*innen, Aktivist*innen und Intellektuellen gegen Menschen, die irgendwann einmal BDS-Forderungen oder -Aktionen unterstützt haben, z.B. durch eine Unterschrift, aber keineswegs in einer organisatorischen Bindung zu BDS stehen.

Eine Grenze kann hier nur individuell gezogen werden. Es gibt dafür kein generelles Patentrezept.

Debatten kommen oft nicht zustande, weil Kontrahent*innen nicht mehr miteinander sprechen wollen. Wie gelingt es, Dialogräume für einen konstruktiven Austausch – zwischen antisemitismuskritischen und rassismuskritischen Perspektiven – zu schaffen?

Dr. Hanno Loewy: Dialogräume kann es nur geben, wo nicht mit Generalverdacht dem Anderen „niedere Motive“, also Antisemitismus oder Rassismus, unterstellt werden Wobei in Deutschland der Vorwurf des Antisemitismus grundsätzlich eine noch weitaus stärkere, weil von staatlichen Autoritäten bewehrte stigmatisierendere Wirkung entfaltet. 

Der „antisemitismuskritische“ und der „rassismuskritische/postkoloniale“ Diskurs werden nicht nur in Deutschland zunehmend gegeneinander ausgespielt. Was nicht zuletzt deswegen besonders gut funktioniert, weil sie in Bezug auf Israel und Palästina in einem unmittelbaren politisch-existenziellen Konfliktverhältnis stehen, nicht nur in einem Konkurrenzverhältnis um öffentliche Aufmerksamkeit oder Ressourcen.

Solange es nicht möglich ist, diesen Konflikt in beiden Perspektiven wahrzunehmen, also als Teil jüdischer Emanzipationsgeschichte und als Teil kolonialer Machtgeschichte, solange diese beiden Perspektiven unversöhnlich gegeneinanderstehen, sind Dialogräume nur um den Preis der Verdrängung und des Schweigens zu haben.

Macht es für Sie einen Unterschied, aus welcher (Sprecher*innen-) Position heraus sich Menschen pro/kontra zum Konflikt äußern?

Dr. Hanno Loewy: Die Tatsache, dass das Mittel des Boykotts nicht per se antisemitisch ist, bedeutet keineswegs, dass das Motiv, BDS zu unterstützen, nicht auch aus einer antisemitischen Einstellung hervor gehen kann. Das gilt freilich eher für manche BDS-Aktivist*innen in Deutschland, die keine Palästinenser*innen und auch keine kritischen Jüdinnen*Juden oder Israelis sind. Pauschalurteile über BDS und deren Unterstützer*innen sind daher freilich wenig hilfreich.

Insgesamt kann eine militante Haltung gegen die israelische Besatzungspolitik auch antisemitische Einstellungen und Konfliktdeutungen befördern. Antisemitismus bietet schließlich eine einfache und in sich konsistente Konfliktdeutung, die es erlaubt, sich selbst in einer moralisch unangreifbaren Position gegenüber einem imaginierten Bösen wahrzunehmen. Menschen sind nicht als Antisemit*innen geboren. Aber Antisemitismus kann Interessen bedienen, nicht zuletzt in einem Konflikt. Fatalerweise entwickelt auch der „antisemitismuskritische Diskurs“ in Deutschland eine ähnliche Logik. Den realen Konfliktgegner als „antisemitisch“ zu stigmatisieren, befreit von der Notwendigkeit, die Motive, Interessen und Perspektiven des anderen noch irgendwie ernst zu nehmen.

Viele empfinden den Umgang mit BDS in Deutschland als zu einseitig bezogen auf seine nationalsozialistische Vergangenheit. Im Kontext der Documenta 15 wurde der deutschen Debatte vorgeworfen „provinziell“ zu sein. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die deutsche Geschichte für die Beurteilung von BDS?

Dr. Hanno Loewy: Den Konflikt um Israel und Palästina ausschließlich aus der Perspektive der deutschen Geschichte, und damit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wahrzunehmen, führt tatsächlich in eine Sackgasse. Die Idee und Realisierung eines „jüdischen Staates“ ist nicht ausschließlich die Folge des deutschen Vernichtungsantisemitismus.

Jüdische Ansiedlung in Palästina wurde seit dem 19. Jahrhundert – aber auch nach 1945 – vor allem von europäischen und außereuropäischen Mächten und von christlichen Kirchen aus unterschiedlichen machtpolitischen, kolonialistischen und ideologischen Motiven gefördert. Ohne diese strategischen Interessen hätte der Staat 1947/48 nicht entstehen können.

Mit der globalen Migration der Gegenwart sind die Perspektiven darauf nun konfliktträchtig und widersprüchlich – auch innerhalb der deutschen Gesellschaft. Das alles gilt auch für den Umgang mit BDS. Die Geschichte von Boykotten besteht nicht nur aus dem Naziboykott gegen Jüdinnen*Juden. Der infame Aprilboykott 1933 war selbst eine Reaktion auf einen Boykott gegen Nazi-Deutschland in den USA, was weder gegen noch für Boykotte als Mittel politischer Auseinandersetzung spricht, allerdings auch gegen polemische Gleichsetzungen

Zum Interview mit Alex Feuerherdt


Dr. Hanno Loewy, geboren 1961 in Frankfurt am Main, Studium der Germanistik, Theater-, Film und Fernsehwissenschaften und Kulturanthropologie.  Promotion über Béla Balázs und die Entstehung der Filmtheorie. Von 1995 bis 2000 Gründungsdirektor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main, seit 2004 Direktor des Jüdischen Museum Hohenems in Österreich. Von 2011 bis 2017 Präsident der Association of European Jewish Museums. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen zur jüdischen Geschichte und Gegenwart, zur Geschichte des Holocaust und zur Geschichte von Fotografie und Film. 
      


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