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Demokratieabbau –
So gehen Demokratien zugrunde

Demokratische Systeme verwandeln sich nicht über Nacht in autoritäre Regime. Der Umbau findet schleichend statt.
Wie steht es um Demokratien weltweit? Welche Warnzeichen kündigen den demokratischen Verfall an? Und vor allem: Wie können Staat und Zivilgesellschaft das demokratische System schützen, das die Rechte und Freiheit der Bürger*innen garantiert?
Demokratische Rückschritte weltweit
Weltweit gibt es zum ersten Mal seit 20 Jahren mehr Autokratien als Demokratien – fast drei von vier Menschen leben in autokratischen Regimen. Das hat der Index “Varieties of Democracy” (V-Dem) festgestellt, der global den Zustand von Demokratien untersucht und jedes Jahr von der Universität Göteborg veröffentlicht wird. Dabei misst der Index unter anderem die lokale Ausprägung unterschiedlicher demokratischer Prinzipien – wie etwa freie Wahlen, bürgerliche Freiheiten, rechtliche und faktische Gleichberechtigung oder auch die Möglichkeit zu politischer Beteiligung. Für das Jahr 2024 stellte der Bericht eine globale Welle des Demokratieabbaus fest. Der V-Dem Report bilanzierte außerdem, dass 2024 in über 40 Ländern die Meinungsfreiheit beschnitten worden sei – und sich in 25 Ländern die Qualität der Wahlen verschlechtert hätte.
Ist das noch demokratisch?
Um Demokratien einordnen und bewerten zu können, braucht es zunächst eine Definition, was ein demokratisches System ausmacht. In der politischen Theorie finden sich unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung von Demokratien – Einigkeit besteht jedoch darin, dass Demokratien ihren Bürger*innen Freiheit und Gleichheit garantieren und dass sie die Kontrolle der Institutionen durch Gewaltenteilung und faire Wahlen sicherstellen müssen. Stark vereinfacht lässt sich der Wandel von Demokratie und Autokratie so darstellen:

Demokratischen Verfall erkennen:
Wenn die Exekutive ausgebaut wird – Beispiel Ungarn
Ein Warnzeichen für den schleichenden Rückbau der Demokratie ist es, wenn die exekutive Kraft – also Regierung, Verwaltung und Polizei – an Macht gewinnt, während die anderen Gewalten geschwächt werden*. Häufig wird die Exekutive unter dem Schein der Legalität gestärkt: So änderte Ungarns Ministerpräsident Orbán 2012 mit einer großen parlamentarischen Mehrheit das Wahlgesetz zum Vorteil seiner Regierungspartei Fidesz. Inzwischen regiert Orbán seit fünfzehn Jahren und hat neben der Wahlgesetzänderung die Unabhängigkeit von Gerichten und regierungskritischen Medien geschwächt. Im Jahr 2022 hat das EU-Parlament Ungarn den Demokratie-Status abgesprochen, das Land gilt als elektorale Autokratie. Ungarn greift massiv in die Freiheit seiner Bürger*innen ein – schon 2012 wurde etwa die Ehe für alle verboten, kürzlich untersagte Orbán auch Pride-Demonstrationen. Dagegen regt sich nun Protest: Die ungarischen Bürger*innen gehen für ihre demokratischen Grundrechte auf die Straße.
*Neben der Exekutive gibt es die gesetzgebende Gewalt (Legislative) und die rechtsprechende Gewalt (Judikative). Die drei Gewalten sollen sich gegenseitig kontrollieren. Oft spricht man von der freien Presse als vierter Gewalt, da sie nicht staatlich verankert ist.
Demokratischen Verfall erkennen:
Wenn die Verfassung untergraben wird – Beispiel USA
Ein weiteres Zeichen des demokratischen Verfalls ist es, wenn zentrale Prinzipien der demokratischen Verfassung geschwächt werden – etwa freie Meinungsäußerung durch Presse und Opposition oder die unabhängige Gerichtsbarkeit. Beobachten kann man diesen Prozess aktuell in den USA: Schon in der Wahl 2020 startete Trump einen Frontalangriff auf demokratische Institutionen. Immer wieder behauptete der damalige Wahlverlierer Trump, der Sieg sei ihm gestohlen worden, die Wahl sei eine „Big Lie“. Im Zuge seiner Propaganda versuchte ein Mob, das Kapitol zu stürmen – die verurteilten Möchtegern-Umstürzler*innen hat Trump zu Beginn seiner aktuellen Amtszeit begnadigt.
Darüber hinaus lassen sich Trumps Verstöße gegen demokratische Prinzipien kaum überblicken: Er ignoriert die Anweisungen von Richter*innen, lässt gemeinnützige Organisationen zerschlagen, nutzt das FBI und das Justizministerium, um seine Gegner*innen einzuschüchtern. Stellten die Autoren des Bestsellers „Wie Demokratien sterben“, Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, im Jahr 2018 noch fest, dass Trump gegen die Leitplanken der Demokratie agiere, muss heute klar gesagt werden: Der republikanische Präsident hat begonnen, die Demokratie von innen abzubauen.
Demokratien können sich selbst zerstören
Demokratische Systeme scheitern immer wieder massiv daran, autoritäre Parteien einzugrenzen, wenn diese durch Wahlen zu viel Macht erhalten haben, zu diesem Ergebnis kommen diverse Studien. Laut einer Fallstudie aus dem Jahr 2024 wurden in den meisten Ländern, die demokratische Rückschritte gemacht haben, keine explizit antidemokratischen Wahlkampagnen geführt – die Gegner der Demokratie haben sich also bürgerlich gegeben. Sobald die autoritären Parteien aber an der Regierung beteiligt waren, haben sie ihre Spielräume genutzt, um demokratische Strukturen zu unterwandern und abzuschaffen. Daraus kann man schlussfolgern, dass Rechtsextreme ungeachtet ihres Auftretens immer noch Verfassungsfeinde sind – und die Brandmauern deshalb dringend aufrechterhalten werden müssen. Das bedeutet auch: Demokratische Institutionen, unabhängige Medien und Zivilgesellschaft müssen vor autoritären Angriffen geschützt werden.
Demokratische Bollwerke – Beispiel Thüringen
In Deutschland ist mit der AfD eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei so erfolgreich wie noch nie seit 1945. Die demokratischen Parteien haben sich nach rechts treiben lassen – im vergangenen Wahlkampf wurde die Brandmauer zur AfD eingerissen. Die Autor*innen des Verfassungsblogs, einer unabhängigen rechtswissenschaftlichen Publikation, haben in den vergangenen Jahren durchgespielt, wie die deutsche Demokratie zugrunde gehen könnte. In Thüringen, wo die AfD seit Herbst 2024 stärkste Kraft ist, hat der Verfassungsblog bereits Angriffe auf die Justiz von rechts festgestellt. So stellte die AfD Strafanzeigen gegen zwei Richter des Thüringischen Verfassungsgerichts, einem von ihnen warf die Partei Befangenheit vor. Außerdem blockiert die AfD in Thüringen mit ihrer Sperrminorität aktuell die Wahl neuer Richter*innen und bedroht damit die Funktionsfähigkeit der Justiz im Land.
In solchem und ähnlichem Vorgehen sehen die Rechtsexpert*innen eine der größten Gefahren für die nächsten Jahre: Antidemokratische Kräfte diffamieren und attackieren Gerichte oder besetzen sie mit regimetreuen Personen, um ihre autoritären Gesetze durchdrücken zu können.
Zivilgesellschaftliche Allianzen
Mit dem “Justiz”-Projekt will der Verfassungsblog herausfinden, wo die deutsche Gerichtsbarkeit am verwundbarsten ist – und wie sie sich vor Antidemokrat*innen schützen lässt. Dafür empfiehlt der Verfassungsblog zivilgesellschaftliche Allianzen mit der Justiz, um diese als demokratisches Bollwerk zu stärken. In Ungarn kam es Anfang 2025 zum ersten Mal zu einem Großprotest von Richter*innen, die ihre Unabhängigkeit gefährdet sehen. Auch in Israel stellten sich Rechtswissenschaftler*innen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft gegen die Pläne der Regierung, die Justiz zu reformieren.
Mehr Schutz für zivilgesellschaftliches Engagement
Wenn die Demokratie von oben erodiert, braucht es umso mehr eine starke Zivilgesellschaft, die sich dem Rechtsruck entgegenstellt. Dazu gehören Vereine, Initiativen, Nichtregierungsorganisationen, soziale Bewegungen und kritische Journalist*innen. Gerade diese geraten ebenfalls ins Visier der Antidemokrat*innen: Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung zeigt, dass strategische Klagen zur Einschüchterung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Journalist*innen in Deutschland verbreitet sind. Solche Klagen werden “Slapp” genannt: “strategic lawsuits against public participation”. So sehen sich zum Beispiel Journalist*innen, die über Missstände berichten, mit Verleumdungsvorwürfen konfrontiert und müssen sich gegen Schadensersatzforderungen vor Gericht wehren. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern jetzt besseren Schutz gegen solche Klagen von der Bundesregierung.
Wo sind demokratische Grundwerte in Gefahr?
Wenn die Gesellschaft nach rechts rückt, ist auch unsere Demokratie bedroht. Deshalb schauen wir in den nächsten Wochen genau hin, analysieren antidemokratische Tendenzen und diskutieren konkrete Szenarien. Machst du dir Sorgen um die Demokratie in Deutschland? Hast du Fragen zu theoretischen Begriffen oder aktuellen Entwicklungen? Schreib uns in den Kommentaren oder via DM.