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„Anti-asiatischer Rassismus ist im deutschen Diskurs nach wie vor sehr unterrepräsentiert.“
Hami Nguyen ist als Projektleitung von „Hidden Codes“ bei der Bildungsstätte Anne Frank tätig. Wir haben unsere Kollegin zu einem Gespräch über ihr Buch getroffen.
Hami, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deiner Buchveröffentlichung! Erzähl uns, worum geht es in „Das Ende der Unsichtbarkeit“? Und wie ist die Idee zum Buch entstanden?
Vielen Dank! In meinem Buch geht es um anti-asiatischen Rassismus und wie dieser das Leben asiatisch wahrgenommener Menschen prägt und beeinflusst. Diese Rassismusform ist im deutschen Diskurs nach wie vor sehr unterrepräsentiert. Anhand meiner Familiengeschichte zeige ich auf, wie eng verflochten anti-asiatischer Rassismus mit der Historie rassistischer Gewalt und rigider Asylpolitik Deutschlands zusammenhängt.
Neben dem anti-asiatischen Rassismus wird in deinem Buch auch das Thema Klassismus verhandelt. Kannst du diese beiden Begriffe kurz erläutern? Was bedeuten sie?
Anti-asiatischer Rassismus lässt sich am besten anhand von Beispielen erklären, die für Nichtbetroffene so alltäglich sind, dass sie auf den ersten Blick gar nicht als rassistisch markiert werden. Asiatisch gelesenen Menschen wird oft nachgesagt, sie seien besonders fleißig, angepasst oder gut in Mathe, also ein Teil der sogenannten Vorzeigeminderheit. Diese Zuschreibungen sind vermeintlich positiv und doch sind es Zuschreibungen einer gesamten Gruppe aufgrund äußerer Merkmale. Ein anderes Beispiel ist die Hypersexualisierung asiatischer Frauen. Hier wird ihnen vermeintliche Unterwürfigkeit und sexuelle Verfügbarkeit zugeschrieben.
Unter Klassismus versteht man die strukturelle Diskriminierung aufgrund der sozio-ökonomischen Schicht.
Die Intersektion zwischen Rassismus und Klassismus beeinflusste mein Leben und das vieler anderer vietnamesischer Menschen in Deutschland sehr stark. Nach dem Mauerfall wurden die meisten ehemaligen Vertragsarbeiter*innen abgeschoben. Der Rest beantrage Asyl und viele mussten mit einer Duldung leben. Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern bedeutet lediglich, dass die Abschiebung ausgesetzt ist. Dies bedeutete auch, dass wir keine Arbeitserlaubnis bekamen und somit gezwungen waren, von Sozialleistungen zu leben, die sehr niedrig waren. Das Leben in Armut prägte also meine Kindheit und die Kindheit vieler anderer Menschen mit ähnlichen Flucht- oder Migrationserfahrungen.
Hat der anti-asiatische Rassismus während der Coronapandemie zugenommen?
Spätestens die Pandemie hat gezeigt, dass der Rassismus gegen asiatisch wahrgenommenen Menschen salonfähig ist. In den Medien werden bestimmte Essgewohnheiten bspw. aus China oder Thailand exotisiert, also als „eklig“ oder „unzivilisiert“ dargestellt. Denken wir da an gegrillte Insekten auf thailändischen Märkten, die im Übrigen vor allem eine Tourist*innenaktion sind. Dies führte während der Coronapandemie zu weltweit steigender Gewalt gegen Betroffene. Das Narrativ der „Asiat*innen“ und ihrer vermeintlich abscheulichen Essgewohnheiten war bis dahin schon allgemeines Credo. Dass also vermeintlich der Verzehr eines Gürteltiers in Wuhan den Ausbruch einer Pandemie ausgelöst hat, war nur allzu anschlussfähig.
Dein Buch trägt den Titel „Das Ende der Unsichtbarkeit“. Kannst du uns erzählen, warum du genau diesen Titel gewählt hast?
Nicht nur anti-asiatischer Rassismus wird in Rassismusdebatten viel zu oft ignoriert, sondern auch die Geschichte vietnamesischer Migrant*innen in Deutschland. Wer weiß zum Beispiel, dass es nicht die eine vietnamesische Einwanderungsgeschichte gibt, sondern mindestens zwei? Die sogenannten Boatpeople, die in die BRD geflüchtet sind und die Vertragsarbeiter*innen in der ehemaligen DDR. Viel zu wenig wird auch über die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen gesprochen, deren politischen Auswirkungen mitunter eine Verschärfung der Asylpolitik und sogar eine Grundgesetzänderung zur Folge hatten. Früher dachte ich, meine Familie hatte einfach Pech, meine Geschichte sei individuell. Aber dass es sehr vielen vietnamesischen Familien genauso ging und unsere Probleme institutionell so gewollt waren, darüber wurde nie gesprochen. Was Armut und Existenzängste mit meiner Generation machten, wurde ignoriert. Wir waren unsichtbar.
Weitere Themen deines Buchs sind Mutterschaft und Familie. Wie hängt das mit den anderen Fragestellungen des Buchs zusammen?
Ich war zwei Jahre alt, als ich mit meiner Mutter nach Deutschland floh. Meine Mutter war sehr jung und sie hat sehr viel aufgegeben, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Last und Sorgen, die sie mit sich getragen haben muss, wurden mir erst so richtig bewusst, als ich selbst Mutter wurde. Ich kann also nicht über meine Geschichte schreiben, ohne die meiner Mutter und meiner Familie zu erzählen. Zudem habe ich angefangen, über Rassismus zu schreiben, als ich als Mutter rassistische Mikroaggressionen gegenüber meinem Kind erfahren musste.
Wenn du die Ungerechtigkeit der „Asyldebatte“ in den 1990er-Jahren beschreibst, drängen sich die Parallelen zur aktuellen Situation geradezu auf. Wie siehst du die Lage?
Die aktuelle Lage zeigt erschreckend viele Parallelen zu den 1990er-Jahren auf. Die hochkochende Asyldebatte, angetrieben von Politiker*innen und Medien, führt auch heute zu Gesetzesänderungen, die das Leben von Asylsuchenden und Migrant*innen sehr schwer machen. Heute werden Wertemarken wieder eingeführt, die es damals auch schon gab. Ressentiments gegen rassifizierte Menschen innerhalb der Dominanzgesellschaft gab es auch damals schon in Form von brennenden Häusern. Die Zahl der Brandanschläge gegen Geflüchtetenunterkünfte steigt wieder. Es sind beängstigende Zeiten.
„Das Ende der Unsichtbarkeit“ ist dein Debüt und erschien pünktlich zur Frankfurter Buchmesse 2023. Du hast dich jedoch gegen Auftritte auf der Buchmesse entschieden. Wie kam es dazu?
Ich habe bereits 2021 auf die Anwesenheit rechtsradikaler Verlage auf der Frankfurter Buchmesse aufmerksam gemacht. Damals sagten deshalb viele, insbesondere Schwarze, Autor*innen ab. Die Geschäftsführung wand sich in Scheinargumenten wie der Buchmesse als unpolitischer Ort oder der Meinungsfreiheit, obwohl es nie um Meinungen, sondern um Diskriminierung und realer Bedrohung für rassifizierte Autor*innen ging.
2022 wurden aufgrund des Angriffskriegs gegen Ukraine russische Verlage ausgeladen. Letztes Jahr wurde aufgrund des Terrorangriffs der Hamas die Preisverleihung einer palästinensischen Autorin verschoben. Ohne hierbei die Richtigkeit dieser Entscheidungen zu bewerten, wurde damit jedoch bestätigt, dass die Buchmesse offensichtlich doch politische Entscheidungen treffen kann.
Gleichzeitig durfte aber der einflussreiche rechte Verlag „Junge Freiheit“ ausstellen. Ich konnte es nicht mit meinen Werten vereinbaren, mich neben Rechtsradikale zu stellen, um mein Buch zu bewerben. Auch wenn es für mich als Debütantin eher ein beruflicher Nachteil war, entschloss ich mich alle Anfragen auf der Buchmesse abzusagen.
Hami Nguyen wurde 1989 in Vietnam geboren und 1991 mit ihrer Mutter nach Deutschland geflohen, wo ihr Vater als Vertragsarbeiter in der DDR gearbeitet hatte. Sie studierte VWL, Soziologie und Politikwissenschaften in Halle/Saale und Luzern. Hami Nguyen leitet in der Bildungsstätte Anne Frank das Projekt „Hidden Codes“, das Jugendlichen dabei hilft, Anzeichen rechtsextremer und islamistischer Radikalisierung im Netz zu erkennen und darauf zu reagieren. Sie setzt sich zudem als Aktivistin auf Instagram unter @hamidala_ für eine gerechtere Gesellschaft ein.
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„Das Ende der Unsichtbarkeit“ ist seit Oktober 2023 bei den Buchhändler*innen eures Vertrauens erhältlich. Ihr möchtet vorab reinlesen? Hier entlang geht‘s zur Leseprobe:
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