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Das Instagram-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ (@ichbinsophiescholl) hat Wellen geschlagen. Der Kanal simuliert das Leben der bekannten NS-Widerstandskämpferin in Echtzeit – als hätte die historische Person Sophie Scholl über ein Smartphone verfügt, das uns Bilder in die Gegenwart sendet.

Innovative digitale Projekte in der historischen Bildung sind wichtig; sie sind jedoch auch oft inhaltlich angreifbar. Bei Kritik ist es dann wichtig, über die eigene Perspektive zu reflektieren und sich selbstkritisch mit dem eigenen Produkt auseinanderzusetzen.

Zum Beispiel mit der Frage: Was wollen wir erzählen? Bei @ichbinsophiescholl ist es eine deutsche Widerstandsgeschichte, die wegen Scholls Biografie zugleich viel mit der Perspektive von Soldaten und der Ostfront zu tun hat. Dabei bedient der Account zwei beliebte, aber problematische Narrative, die mit der Person Sophie Scholl zu tun haben:
a) Es gab einen signifikanten deutschen Widerstand,
b) auch Deutsche konnten Ziel der Repression sein, quasi eine Täter-Opfer-Umkehr.

In der historischen Bildung werden deutsche Widerstandsperspektiven durchaus bearbeitet. Allerdings ist es hierbei wichtig, den Kontext und die Motivationen deutlich zu machen. Durch einen starken Fokus auf weißen, christlichen, deutschen Widerstand, rücken die eigentlichen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Eroberungspolitik zwangsläufig in den Hintergrund – jüdische Perspektiven, Perspektiven von Sinti*zze und Rom*nja etc. finden nicht statt. Der Nationalsozialismus wird als eine innerdeutsche Geschichte von Repression und Widerstand erzählt. Die Nazis werden zu beliebigen autoritären Figuren, die „gegen Meinungsfreiheit“ sind.

Es ist wichtig, junge Menschen über die Medienkanäle zu erreichen, die sie auch nutzen. Allerdings brauchen entsprechende Formate eine inhaltliche Rahmung und Einordnung, um Jugendliche mit geschichtsverzerrenden Narrativen nicht allein stehen zu lassen. Sonst bleibt die eigentliche Frage, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte und welche Motivationen damals Personen für ihr Handeln hatten, unbeantwortet.

Der Account @ichbinsophiescholl versucht eine Rahmung, indem er mit den Follower*innen interagiert – mal als „Sophie Scholl”, mal als „Account“. Die Interaktionen wirken aber nicht durchdacht: So lässt Sophie ihre Follower*innen darüber abstimmen, ob sie die berühmten Flugblätter verteilen soll oder nicht. Was soll das? Wir wissen, dass sie es gemacht hat. Warum muss darüber abgestimmt werden? Die Partizipation und Einbindung von Follower*innen muss genau durchdacht sein. Welchen Zweck hat sie? Was versuchen wir zu vermitteln?

Das Instagram-Projekt ist technisch und ästhetisch beeindruckend und hat sicherlich viele Menschen angeregt, sich mehr mit der Geschichte zu befassen. Es zeigt aber auch, dass solche Formate ohne ein durchdachtes pädagogisches Konzept und eine kontinuierliche Evaluation des Bildungserfolgs im besten Fall peinlich sind – im schlimmsten Fall können sie sogar Geschichtsrevisionismus befördern.