Loading...


4. Dezember 2023


Schon viele Wochen vor den Ausschreitungen hatten Vertreter*innen von Polizei und Feuerwehr ein Böllerverbot gefordert. Sie verwiesen auf die bundesweite Überlastung der Einsatzkräfte durch Brände, Verletzungen bis hin zu Todesfällen durch Feuerwerkskörper. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Politiker*innen noch bemüht, die Freiheit des Böllerns zu verteidigen. Nun scheinen sie diese Freiheit wieder einschränken zu wollen – jedenfalls für bestimmte Gruppen.

CDU-Politiker Christoph de Vries, Bundestagsabgeordneter aus Hamburg, etwa fordert, über „Personen dunkleren Hauttyps“ zu sprechen; andere sprechen von „Überfremdung“ und „Staatsversagen“ oder wollen die Ereignisse auf ein Phänomen von „Problemvierteln“ reduzieren. Ist die Böllerfreiheit also Menschen mit der „richtigen Hautfarbe“ oder aus wohlhabenden Vierteln vorbehalten? Davon abgesehen verstört die Maßlosigkeit der Sprache, zu der einige Politiker*innen und Journalist*innen jetzt greifen: Die volle Härte des Rechtsstaates wird gefordert, von einer der „brutalsten Nächte der bundesdeutschen Geschichte“ gesprochen. Nur zur Erinnerung: Vor gerade einmal einem Monat wurde eine bundesweit agierende rechte Gruppe aufgedeckt, die einen Putsch in Deutschland geplant hatte; nächsten Monat ist der dritte Jahrestag des Anschlags von Hanau. Im kollektiven Gedächtnis scheint beides längst zu Randnotizen verkommen.

Bezog sich der ursprüngliche Ruf nach einem Böllerverbot noch auf die alljährliche Erfahrung der Einsatzkräfte, wurde dies nach der Silvesternacht in den sozialen Medien kurzerhand zu einem Integrationsproblem umgedeutet. Kaum einen Tag später übernahmen viele Zeitschriften und Fernsehsender dieses Framing: Etablierte Medien wie das „Morgenmagazin” machen sich so unwillkürlich zur Echokammer rechter Kampagnen, verleihen ihnen einen seriösen, mehrheitsfähigen Anstrich.

Das eigentliche Problem rückt indes in den Hintergrund, ohne gelöst zu werden: Denn Gewalt gegen Einsatzkräfte ist ein Dauerthema. Rettungseinsätze bei Unfällen oder Bränden werden immer wieder zu Schauplätzen von Übergriffen und Beleidigungen, über das ganze Jahr hinweg, deutschlandweit. Dieses reale gesamtgesellschaftliche Problem wird jetzt auf marginalisierte Gruppen reduziert und anhand des ohnehin schwammigen Konzepts der „Integration“ diskutiert. Diese Dynamik kennen wir bereits aus 2015, als es in Köln und anderen deutschen Städten zu massenhaften sexualisierten Übergriffen auf Frauen durch vorwiegend migrantische Männer und Asylbewerber kam – schon damals wurde die lange überfällige Diskussion um Sexismus und sexualisierte Übergriffe zu einem reinen Migrationsproblem erklärt, fokussierten sich Politiker*innen und Journalist*innen einseitig auf die als homogen wahrgenommenen Täter, während der gesamtgesellschaftliche Kontext sexualisierter Gewalt in Deutschland ausgeblendet wurde.

2023 macht dort weiter, wo 2015 nie aufgehört hat. Geholfen ist dabei niemandem.