Loading...

Verschwörungstheorien sind gefährlich. Auch weil fast alle Verschwörungstheorien einen antisemitischen Kern haben. Doch wie kommt das?

In der Vergangenheit wurden Jüdinnen und Juden aus religiösen Gründen ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt. Sie wurden auf zahlreiche Weise verleumdet, u. a. wurde behauptet, sie würden Brunnen vergiften oder Kinderblut trinken. Oft wurden sie beim geringsten Anlass vertrieben, galten deswegen als heimatlos und ohne Loyalität zu ihrem Aufenthaltsort. Im Mittelalter erhielten sie zahlreiche Berufsverbote und konnten die meisten Gewerbe nicht ausüben. Übrig blieb vor allem der Geldverleih, der Christen verboten war.

Ab dem 19. Jahrhundert konnten sich Juden emanzipieren und juristische Freiheiten erlangen. Sie waren aber immer noch schlechter gestellt als nichtjüdische Menschen. Auch die bösartigen Legenden aus der Vergangenheit hafteten ihnen immer noch an. Vor allem aber wurden sie nach wie vor mit Geld und dem Kreditwesen zusammengebracht.

Der Aufstieg der modernen Welt im 19. und 20. Jahrhundert brachte unglaubliche Umwälzungen mit sich. Eroberung, Zerstörung und Krieg waren nur die sichtbarsten Zeichen der neuen Entwicklung. Gleichförmige Arbeit in Fabriken wurde zur Regel. Der Kapitalismus erschuf eine globale Kultur, in der die Eliten große Freiheiten erlangten, die der Allgemeinbevölkerung nicht zur Verfügung standen. Das Kapital kannte keine Nationalität, war von Ländergrenzen nicht abhängig.

Die chaotischen Verhältnisse, die der Kapitalismus hervorbringt, verlangen nach einer Erklärung. Die einfachste ist: Jemand will das alles so. Als Symbolfigur dafür wurden jüdische Menschen gefunden – „Herren des Geldes“ ohne wirkliche Heimat. Statt den Kapitalismus zu verstehen, der komplex und unpersönlich ist, entschlossen sich viele dafür Jüdinnen und Juden zu bekämpfen. Antisemitismus wurde dabei auch gezielt als Waffe eingesetzt, um eine Kritik des Kapitalismus zu vernebeln. Der Antisemitismus war die erste und mächtigste Verschwörungstheorie – er brachte Leid, Verfolgung und Ermordung mit sich.

Die meisten Verschwörungstheorien wollen ebenfalls die moderne Welt erklären. Auch sie wollen eine chaotische, von Widersprüchen gezeichnete Wirklichkeit vereinfacht darstellen. Sie folgen meist einer heimtückischen Struktur: „Die Welt könnte so schön sein, aber eine kleine Gruppe von Menschen kämpft aktiv dagegen. Diese kleine Gruppe ist international, heimatlos und herrscht vor allem über das Geld. Wenn wir diese Gruppe bekämpfen, dann wird die Welt automatisch gut!“

So müssen Verschwörungstheoretiker*innen gar nicht explizit von jüdischen Menschen sprechen: Alle Hinweisschilder, die sie aufstellen, weisen in dieselbe Richtung. Ihr Publikum ergänzt automatisch „die Juden“. Die einzelnen Komponenten einer Verschwörungstheorie können sich verändern, solange aber Wegweiser in diese Richtung zeigen, ist eine Verschwörungstheorie antisemitisch. Irgendwann spricht es jemand aus – und schon tritt der Antisemitismus ganz klar und deutlich aus dem Kokon der Verschwörungstheorie hervor. Wohin er führt, hat das 20. Jahrhundert gezeigt.

Mehr zu Verschwörungsnarrativen erfahren Sie in unserer digitalen Sonderausstellung „matter of fact – Warum wir an Verschwörungstheorien glauben wollen“. Darin beschäftigen wir uns mit der Geschichte, Struktur, Gefahr und Prävention von Verschwörungstheorien.

Die Ausstellung kann über folgenden Link direkt besucht werden:
bsaf.info/matteroffact