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Wir haben unseren Direktor Meron Mendel fünf Fragen zur Einordnung der Ereignisse gestellt.

Am Dienstag gegen Abend wurde eine Installation am zentralen Friedrichsplatz in Kassel abgebaut. Der Grund?

Sie reproduziert ganz klar antisemitische Hetze. Bei dem riesigen Banner des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi handelt es sich um ein 20 Jahre altes Werk, das antisemitische Bildelemente zeigt: Einen dämonisch grinsenden Mann mit Schläfenlocken, Raffzähnen und SS-Runen am Hut und ein Schwein mit Davidsstern und Schriftzug des israelischen Geheimdienstes Mossad.

Für Einsteiger: Inwiefern ist diese Bildsprache antisemitisch?

Die Darstellung von Juden als Nazis: das ist ein antisemitischer Klassiker. Diese Täter-Opfer-Umkehr ist typisch, quasi ein europäisches Antisemitismus-Exportgut. Durch den Schweinerüssel an der Figur mit Davidstern wird deutlich, dass Juden hier schlicht beleidigt werden sollen. Das Schwein ist im Judentum das Symbol für Unreinheit schlechthin. Ohne Zweifel: Künstler haben hier bewusst mehrschichtige antisemitische Narrative auf die Leinwand gebracht.

Diskussionen gab es doch schon Monate im Vorfeld?

In a nutshell: Kritiker*innen befürchteten bereits lange vor der Eröffnung, dass in Kassel antisemitische Kunst gezeigt werden könnte, weil die künstlerische Leitung der diesjährigen documenta fifteen – das indonesische Künstler*innenkollektiv ruangrupa – und weitere der von ihnen eingeladenen Künstler*innen(kollektive) aus verschiedenen Ländern des globalen Südens der israelfeindlichen Boykottbewegung BDS nahestehen. Andere – darunter ich selbst – habe diese Haltung dafür kritisiert, dass die Künstler*innen aus dem Globalen Süden unter Antisemitismus-Generalverdacht gestellt wurden. Ich habe ruangrupa aber auch dafür kritisiert, dass sie zwar palästinensische, aber keine jüdischen Künstler*innen aus Israel zur documenta fifteen eingeladen hatte.

Wie sollte es jetzt weiter gehen?

Das kritisierte Kunstwerk von Taring Padi ist eindeutig antisemitisch und hätte so niemals auf der mit 43 Millionen Euro staatlich finanzierten Kunstausstellung zu sehen sein dürfen. Jetzt aber gilt es die Scherben zusammenzukehren und nach vorne zu schauen. Jetzt muss die Auseinandersetzung beginnen! Es ist Aufgabe der documenta, in den Dialog mit dem Publikum und den rund 1500 Künstler*innen aus aller Welt zu treten, damit die Debatte nicht noch weiter eskaliert. Die documenta und ihre künstlerische Leitung müssen die Kritik ernstnehmen und Räume schaffen, in denen über Antisemitismus und Rassismus in der Kunst diskutiert wird, sowie über die Grenzen zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus.

Und die Bildungsstätte Anne Frank?

Wir sind in Kontakt mit der documenta-Leitung und bieten unsere Unterstützung an. Und wir werden auch in Kassel mit unseren Bildungsangeboten präsent sein, um aufzuklären. Etwa bei einer Veranstaltung am nächsten Mittwoch, gemeinsam mit der documenta gGmbH und und Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn.

Wir haben der documenta außerdem vorgeschlagen, auf dem Friedrichsplatz einen Ort der Aufklärung über Antisemitismus und Rassismus zu schaffen. Akteur*innen der politischen Bildung und aus der Zivilgesellschaft könnten die Leerstelle mit ihren Expertisen füllen. Sie fanden die Idee gut.

Zum Weiterlesen:

Berliner Zeitung, 21. Juli 2022, Meron Mendel über Documenta-Skandal: Ich fühle mich verraten

Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2022, Documenta in Kassel: Mitten ins Herz, (SZPlus-Beitrag)

NDR, 20. Juni 2022, documenta: Kunstwerk mit „klaren antisemitischen Anmutungen“, Interview mit Meron Mendel

Deutschlandfunk, 20 Juni 2022, Was nun? Auf der documenta hängt ein antisemitisches Wandbild, Gespräch mit Meron Mendel

Deutschlandfunk Kultur, 20. Juni 2022, Antisemitismus-Skandal auf der documenta: „Dieses Kunstwerk muss umgehend entfernt werden“

Jüdische Allgemeine, 20. Juni 2022, „Das ist klare antisemitische Hetze“, Meron Mendel fordert Entfernung von documenta-Werk

Weitere Beiträge finden Sie zudem in unserem Pressespiegel unter Antisemitismusvorwürfe gegen documenta fifteen