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Mit einem Kopfschuss wurde er von einem Rechtsradikalen, dessen Name mittlerweile den meisten ein Begriff sein dürfte, ermordet: Stephan E. Der Kasseler Regierungspräsident Lübcke hatte unter anderem im Jahr 2015 bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden klar Position bezogen zur damals hoch aufgeladenen und angespannten Geflüchtetenfrage. Er sprach sich eindeutig dafür aus, Menschen in Not zu helfen, sie aufzunehmen und zu unterstützen. Stephan E. sollte dies Jahre später zum Anlass nehmen, den 65-Jährigen zu ermorden. Die genauen Umstände sind nach dem ersten Gerichtsverfahren, dem Ende Juli ein Revisionsverfahren folgen wird, noch immer nicht aufgeklärt. Ein aktuell im Landtag in Wiesbaden tagender Untersuchungsausschuss soll dies leisten. Aber was ist von den Parlamentarier*innen konkret zu erwarten? Wie viel wird man am Ende darüber wissen, welche Informationen Sicherheitsbehörden über Stephan E. und seinen Komplizen Markus H. tatsächlich vorliegen hatten und wie sie damit umgegangen sind? Vor allem: Was hat sich verändert, um Politiker*innen aktiv zu schützen?

Im Januar 2021 wurde Stephan E. nach einem siebenmonatigen Strafprozess vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main zu lebenslanger Haft mit Sicherungsverwahrung für den Mord an Walter Lübcke verurteilt. Der Mitangeklagte Markus H. erhielt eine Bewährungsstrafe. Vom versuchten Mord an Ahmed I. Anfang 2016 wurde Stephan E. freigesprochen. Ahmed I. und auch der Generalbundesanwalt bleiben von Stephan E.s Schuld überzeugt und haben Revision gegen diesen Teilfreispruch eingelegt.

Stephan E., dies ist dem bisherigen Verlauf des Untersuchungsausschusses in Wiesbaden zu entnehmen, fiel bereits früh durch seine Aktivitäten in rechtsterroristischen Kreisen auf, das erste Mal 1993. Dennoch galt er seit 2015 beim hessischen Verfassungsschutz als „abgekühlt“, d. h. als in der rechten Szene nicht mehr aktiv. Die Liste seiner Gewalttaten ist lang – und investigative journalistische Recherchen legen Kontakte in das Umfeld des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds nahe. Weswegen dies von den involvierten Behörden weder verfolgt wurde noch auf Nachfragen im Untersuchungsausschuss bestätigt werden konnte, bleibt im Dunkeln. Immerhin: Noch 2009 war E. in einer Aktennotiz des Leiters des hessischen Inlandsgeheimdienstes als „brandgefährlich“ bezeichnet worden.

Hätte der Mord an Walter Lübcke also verhindert werden können, wäre man Hinweisen auf E.s Aktivitäten konsequenter nachgegangen? Eine unangenehme Frage, die den Kern funktionierender behördlicher Arbeit betrifft. Dennoch muss sie mit Nachdruck gestellt werden. Wie weit der Wille zur Aufklärung schlussendlich gehen wird – aktuell ungeklärt.

Wie steht es also heute um die Sicherheit von Politiker*innen? Das unabhängige Monitoring der Beratungsstelle response für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ergab für das vergangene Jahr 2021 ein erschreckendes Bild, das sich mit den Dokumentationen vieler anderer Bundesländer deckt: Die Übergriffe, Anfeindungen und handfesten Drohungen auf politische Verantwortungsträger*innen und Engagierte nehmen weiter zu. Dass dieses Problem nun verstärkt diskutiert und thematisiert wird, ist richtig. Dass es von der Bundesinnenministerin ernst genommen und ebenfalls öffentlichkeitswirksam in den Fokus gerückt wird, ist ein wichtiges Signal an Betroffene. Vergangene bundesweite Aktionstage gegen Hass-Postings und Hetze im Netz sind erste Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Gefahr für Betroffene einzuhegen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Doch bei Symptombekämpfung darf es hier, wie bei vielen anderen gesellschaftlichen Problemlagen nicht bleiben: Prävention, Aufklärung und die lückenlose Aufdeckung rechter Netzwerke müssen massiv verstärkt werden. Im besten Fall trägt der Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke seinen Teil dazu bei, sich diesen Aufgaben ernsthaft und schonungslos zu stellen.