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4. November 2021


Vor 10 Jahren, am 04.11.2011, enttarnte sich der Nationalsozialistische Untergrund selbst. Mit dem folgenden Video möchten wir einen kleinen Einblick in den medialen Diskurs der letzten 21 Jahre zum Thema bieten. In Gedenken an die Opfer der NSU-Mordserie, die Überlebenden und die Hinterbliebenen.

1998
Gegen das NSU-Kerntrio Böhnhardt, Mundlos & Zschäpe wird bereits seit 1996 ermittelt – sie hatten Bomben & Bombenattrappen platziert und versendet. Alle drei sind jedoch schon seit ihrer Jugend in der rechten Szene aktiv. Nach Hausdurchsuchungen 1998 gewinnen ihre Namen medial an Bekanntheit. Auf ihren Grundstücken werden Rohrbomben, Waffen und weiteres Material zur Sprengstoffherstellung gefunden. Das Trio taucht sofort unter – es wird öffentlich nach ihnen gefahndet. Die Entdeckung der Bombenwerkstatt der sogenannten “Jenaer Bombenbastler” sorgt bundesweit für Aufsehen, es ist die Rede von einer “neuen Qualität” rechter Gewaltbereitschaft.

Ab 2000
Nach dem ersten Mord an Enver Şimşek in Nürnberg, richteten sich die Ermittlungen intensiv auf das nähere familiäre und berufliche Umfeld Şimşeks. Ein Muster, das sich so bei allen weiteren Morden fortführt, auch wenn sich dadurch nie Hinweise ergeben. In den Medien wird daher spekuliert, ob die Opfer selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt wären. Selbst als ein Zusammenhang zwischen den Taten immer wahrscheinlicher wird, ändert sich dieses Narrativ kaum.  

Mit der Verwendung von Begriffen wie "Döner-Morde“, welcher sich ab 2006 in verschiedenen Variationen deutschlandweit verbreitetet, gehen rassistische Zuschreibungen, Enthumanisierung und Entindividualisierung einher. Auch Begriffe wie "Česká‘-Mordserie", angelehnt an eine der Tatwaffen oder "Mordserie Bosporus" in Bezug auf die ermittelnde Sonderkommission, werden als Beschreibungen der rassistischen Taten verwendet. Und obwohl zwei der Opfer die deutsche Staatsbürgerschaft inne hatten, ist in Medien bis heute oft nur von "Migranten" die Rede.

2001
Die Recherche- u. Dokumentationsbroschüre "...nicht vom Himmel gefallen - Rechtsextremismus in Jena" erscheint im April 2001. Schon damals wurde das potenzielle Netzwerk an Unterstützer*innen des NSU-Kerntrios durch antifaschistische Arbeit aufgedeckt. So etwa auch die Beziehung des Trios zu den Neonazis André Kapke oder Ralf Wohlleben. Wohlleben wird später im Zuge des NSU-Prozesses wegen Beihilfe zum Mord verurteilt – er war es, der dem Trio die Mordwaffe beschaffte. Kapke hingegen wird nur als Zeuge geführt.

2003
Als 2003 ein Anschlag der rechten Kameradschaft Süd auf das jüdische Kulturzentrum in München verhindert wird, stellen Medien die Frage nach der Gefahr durch rechte Terror-Netzwerke neu. Auch der Verbleib der “Jenaer Bombenbastler” wird in diesem Zusammenhang thematisiert. Auf eine Anfrage des Bundesinnenministeriums antwortete der damalige Vizepräsident des Verfassungsschutzes Klaus Dieter Fritsche in einem geheimen Papier, dass das Trio auf der Flucht sei und "seither keine Gewalttaten begangen" hätte. Darüber hinaus schreibt er, dass es kein Unterstützerumfeld gebe und dass "Absichten für einen solchen [bewaffneten Kampf aus der Illegalität] in der rechtsextremistischen Szene nicht erkennbar‘ seien." Zu dem Zeitpunkt hatte das NSU-Trio bereits vier Menschen ermordet und 4/5 Raubüberfälle begangen. Das Innenministerium wiederholte daraufhin gegenüber den Medien die Fehleinschätzung, dass von Rechts keine ernsthafte Terrorgefahr ausgehe, die diese Darstellung ohne Nachfrage übernahmen.

2006
Angehörige organisieren die Schweigemärsche unter dem Motto “Kein 10. Opfer” in Kassel und Dortmund. Zusammen mit migrantischen Communities fordern sie Polizei und Öffentlichkeit auf, den Familien zuzuhören und endlich ein rassistisches Tatmotiv in Betracht zu ziehen. Ihre Stimmen finden jedoch medial kaum Beachtung.  Nach wie vor stehen immer noch Angehörige der Opfer im Zentrum der Ermittlungen. 

2011
Nach einem missglückten Banküberfall enttarnt sich das NSU-Kerntrio selbst. Für Medienmacher*innen ist die Selbstenttarnung eine große Überraschung. Eigene rassistische Vorurteile und das unkritische Vertrauen in die Ermittlungen führten dazu, dass sie rechte Täterinnen jahrelang nicht ernsthaft in Betracht zogen.

Erst durch die Arbeit der Hinterbliebenen und verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und Organisationen, wie z. B. der Neuen Deutschen Medienmacher, NSU-Watch oder der Initiative 6. April, kam es zu einem Umdenken des Grundnarratives. Seit wenigen Jahren stehen die Betroffenen und ihre Familien stärker im Vordergrund. Zahlreiche Filme und Medienprojekte und sogar ein dokumentarisches Theaterstück (“NSU-Monologe”) zeigen, dass eine politische und gesellschaftliche Aufarbeitung nicht möglich ist ohne Einbeziehung von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.