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13. Januar 2022


Wir beleuchten die Hintergründe und diskutieren, wie Presse, Staat und Zivilgesellschaft darauf reagieren können.

Die verschwörungsideologisch motivierten Proteste gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung befinden sich in einer neuen Phase. Während zu Anfang unterschiedlichste Akteur*innen zu Großveranstaltungen vor allem in Metropolen mobilisierten, hat mittlerweile ein Strategiewechsel stattgefunden.

Die von der rechten Querdenken -Szene organisierten Veranstaltungen finden spätestens seit Ende letzten Jahres dezentral und zunehmend im ländlichen Raum statt. Damit einher geht eine kommunikative Strategie, die die Proteste ganz bewusst als harmlose „Spaziergänge“ zu inszenieren versucht. Damit soll das Versammlungsrecht umgangen werden, um unangemeldet und ohne vorherige Auflagen protestieren zu können. In Deutschland sind Spontandemos ohne vorherige Anmeldung zwar erlaubt, doch eben nur, wenn sie spontan und nicht von langer Hand geplant sind. Letzteres scheint hier jedoch wahrscheinlicher: Auf Telegram, Blogs und zahlreichen anderen sozialen Medien werden Tage und Wochen vorher Treffpunkte ausgemacht. Der Trick: Es wird behauptet, man gehe nur spazieren. Dass dann zufällig alle zusammenkommen und sich eine Demo entwickelt, sei dann eben spontan.

Die Fokussierung auf möglichst viele dezentrale Veranstaltungen zielt auf lokale Verankerung, Niedrigschwelligkeit und Mitmach-Kultur. Trotz der schwankenden Zahl der Teilnehmer*innen soll vermittelt werden: Wir sind überall, wir sind viele, wir sind das Volk. Dass dies nicht stimmt, zeigt sich in der großen gesellschaftlichen Zustimmung für strengere (statt laschere) Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Der von Teilen der Politik und Medien verbreitete Slogan von der „Spaltung der Gesellschaft" führt also in die Irre. Es findet vielmehr eine Abspaltung statt. Diese ist wiederum nicht minder gefährlich: Bei den Protestveranstaltungen artikuliert sich eine Melange aus Verschwörungsideologien und Menschenfeindlichkeit, welche in der Gesellschaft weit verbreitet sind.

Wie brüchig die vermeintliche Brandmauer gegenüber derlei Positionen ist, hat in der jüngsten Vergangenheit der verharmlosende Umgang mit PEGIDA, den Montagsdemos, der AfD und anderen rechten Akteur*innen gezeigt. Unter dem Slogan „Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen“ wurden rechte Positionen zunehmend etablierter. In der Folge kam es zu einem kontinuierlichen Anstieg rechter Gewalt und dem Einzug von Neonazis in den Bundestag und die Landtage. Trotzdem gibt es einen gesellschaftlichen Konsens: Mit Nazis will niemand etwas zu tun haben. Selbst Nazis nicht.

Dementsprechend zielen die Strategien rechter Akteur*innen auf Verharmlosung und eine Inszenierung als möglichst normal und bürgerlich. Die Selbstdarstellung als „Spaziergang“ dient einerseits dazu, sich den Anforderungen des Versammlungsrechts zu entziehen, zum anderen soll der eigene Protest als harmlose Alltagspraxis erscheinen. Mit einem bürgerlichen und vermeintlich friedlichen Antlitz soll er für möglichst viele Milieus anschlussfähig sein, während im Hintergrund die eigenen antidemokratischen, antisemitischen und rassistischen Politiken verfolgt werden. Auch wenn nicht alle Teilnehmenden Rechte sein mögen, so trägt doch jede einzelne „mitspazierende“ Person zum Erfolg dieser Strategie bei.

Zudem sollen durch das Framing als friedlicher „Spaziergang“ der Gegenprotest und die staatlichen Auflagen als illegitime Gewalt dargestellt werden. Auch deswegen werden Familien und Kinder dazu instrumentalisiert, schockierende Bilder von staatlicher Willkür gegen unbescholtene Bürger*innen zu verbreiten – während gerade die vordersten Ränge bei den Protesten immer wieder von gewaltbereiten Rechten besetzt sind, die bewusst die Konfrontation mit Polizeibeamt*innen suchen. Sie sollen Bilder von Gewalt provozieren, die dann wiederum in der Social-Media-Strategie der Bewegung Verwendung finden.

Die Bezeichnung als „Spaziergang“ ist also bewusst gesetzt, um den Veranstaltungen ein falsches Framing zu geben. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, das Kind beim Namen zu nennen. Für die Berichterstattung bedeutet dies, die Begrifflichkeit nicht zu reproduzieren, sondern von Versammlung, Demonstration oder Protest zu sprechen.

Zudem sollte der tatsächliche Charakter dieser Aufmärsche sichtbar werden. Die Organisator*innen und Mobilisierungen müssen klar eingeordnet, Gewalt und Hetze als solche bezeichnet werden. Es ist wichtig zu benennen, dass die Veranstaltungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Wesentlichen von rechten Akteur*innen organisiert und koordiniert werden. In diesem Umfeld und auf den Veranstaltungen selbst kommt es zu (Mord-)Drohungen, der Verbreitung von Verschwörungsideologien, zu antisemitischen Äußerungen, Holocaustrelativierungen und immer wieder zu Angriffen auf Pressevertreter*innen.

Bei strafrechtlich relevanten Taten ist auch das staatliche Gewaltmonopol gefragt: Wird auf Gewalt und Hetze nicht reagiert, wird sie zur Normalität, und das wiederum bestärkt die Akteur*innen in ihrem Handeln.

Auch die Zivilgesellschaft ist gefragt, einen Umgang mit den aktuellen rechten Mobilisierungen zu finden. In manchen Teilen der Republik regen sich vermehrt Gegenproteste, die deutlich machen möchten: Die Positionen aus der Querdenken-Szene repräsentieren nicht die Mehrheit. Es gibt viele andere Stimmen, die gehört werden müssen. Die Querdenken-Szene ist eine Minderheit, die gerade auch durch ihren dezentralen Charakter (gleichzeitige Proteste in Groß- wie Kleinstädten) das Gefühl vermitteln will, eine Massenbewegung mit großem Rückhalt zu sein.

Im Umgang mit den Aufmärschen aus der Querdenken-Szene zeigt sich aber ein problematisches Muster: Im Fokus stehen immer die Agressor*innen und nicht die Betroffenen. Vielleicht bräuchte es nach jedem Beitrag über die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen ein Interview mit Krankenpfleger*innen auf den Intensivstationen, bedrohten Politiker*innen wie Pressevertreter*innen und „Schattenfamilien“. Das sind Familien mit behinderten oder vorerkrankten Angehörigen, für die Corona eine lebensgefährliche Bedrohung darstellt und die sich selbst so bezeichnen – um darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich in der Debatte ungesehen fühlen.