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Das bedeutet, dass es bei diesen Erzählungen, ob explizit benannt oder nur angedeutet, um eine kleine Gruppe jüdischer Menschen geht, die angeblich im Verborgenen das Weltgeschehen „steuert“. Zu dieser antisemitischen Grundstruktur können weitere Diskriminierungsformen hinzukommen. In diesem Beitrag wollen wir genauer auf Verschwörungstheorien und Rassismus eingehen.

Verschwörungserzählungen und Rassismus 
Verschwörungstheorien wie jene vom „Großen Austausch” enthalten neben antisemitischen Strukturen auch rassistische Narrative. Von Rassismus betroffene Personen werden abgewertet, indem ihnen die passive Rolle der „gelenkten Massen" zugeschrieben wird. Wohingegen jüdische Personen vermeintlich aufgewertet werden als die Aktiven, die die Macht hätten, alles Geschehen zu steuern.

Die Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“  
Nach der Verschwörungstheorie des „Großen Austausch“ stellt Migration eine Gefahr für die imaginierte homogene, weiße, christliche Bevölkerung dar. Vertreter*innen der Erzählung glauben an das rassistisch-völkische Konzept eines „historischen Nullpunkts“, an dem die so benannten „Völker“, ohne jemals migriert zu sein, getrennt voneinander gelebt haben sollen. An diesen – wissenschaftlich widerlegten – Punkt, wollen sie wieder zurück.  

„Volkstod” – die weiße, christliche Zivilisation in Gefahr  
Historisch hat sich die Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“ gewandelt und bediente sich unterschiedlicher Narrative, doch im Kern blieb sie gleich. Das immer wiederkehrende Motiv: Der vermeintlich bevorstehende „Volkstod“, absichtlich herbeigeführt von „geheimen Eliten“, die im Verborgenen Migrationsbewegungen steuern würden. In diesem Weltbild stellen nicht nur migrantisierte (gegenwärtig vor allem muslimische) Menschen eine Gefahr dar, sondern auch Personen, die dem Aufrechterhalten der ersehnten Heteronormativität entgegenwirken. Somit kann sich neben Antisemitismus und Rassismus auch Antifeminismus in der Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“ wiederfinden.

Das Motiv des sogenannten Volkstods geht weit bis in die 1918er Jahre zurück, wo es noch nicht mit konkreten Migrationsprozessen in Verbindung gesetzt wurde. Erst durch verschiedene Faktoren, wie beispielsweise Dekolonisierung und den damit einhergehenden Machtverlust weißer Kolonialist*innen, veränderte sich dieses Narrativ.

Nach dem Bekanntwerden der rechtsterroristischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der den Mythos des Volkstods mehrfach propagiert hatte, wurde dieser Begriff durch den des Großen Austausches ersetzt. Ein neues Label für die unterverändert antisemitische, rassistische Ideologie, die sich dahinter verbirgt.

Gesellschaftliche Relevanz 
Aber nicht nur (neu)rechte Akteure wie die AfD oder die Identitäre Bewegung bedienen dieses Narrativ. Auch die gesellschaftliche Mitte hat dazu beigetragen, dass verschwörungstheoretisches Gedankengut Einzug in den politischen Mainstream findet. So prognostizierte etwa der damalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ das Aussterben der „Deutschen” in Folge der Einwanderung muslimischer Menschen. Und auch sonst tragen rassistisch geführte Debatten um Migration in Politik und Medien ihr Übriges dazu bei, rechte Ideologien zu verbreiten und vermeintlich zu legitimieren. 

Rechte Verschwörungserzählungen wurden zu Sorgen von Bürger*innen aufgewertet, das Asylrecht beschnitten und Einwanderung erschwert. Ironischerweise bestätigt dieses politische Handeln Rechte Akteur*innen in ihrem Denken. Die fatale Konsequenz dieser Resonanz zeigte sich in den Morden des NSU, aber auch in den Anschlägen von Utoya, Christchurch, Halle oder unlängst in Buffalo – alle Attentäter*innen bezogen sich in ihren Manifesten auf die ein oder andere Weise auf den „Großen Austausch“ und stilisierten sich selbst zu Verteidiger*innen des eigenen Volkes. Und regelmäßig werden Fälle von Kameradschaften oder Soldat*innen bekannt, die Bürgerkriege planen und dafür aufrüsten. Der große Zuspruch für derlei Verschwörungen auch während der Corona-Pandemie wird diese Entwicklung nur weiter antreiben.