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Text: Aisha Camara, Folasade Farinde, Siraad Wiedenroth

Datum: 12. Mai 2021


Ein Jahr nach dem Mord an George Floyd: Warum antirassistische Proteste alle etwas angehen

Nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 rückte Rassismus gegen Schwarze Menschen verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Auf die ersten Proteste in den USA folgten Demonstrationen an vielen anderen  Orten, und spätestens seit Sommer vergangenen Jahres ist „Black Lives Matter“ eine globale Protestbewegung.

Dabei ist die zum Hashtag gewordene Forderung „Black Lives Matter“ mehr als eine politische Bewegung, mehr als ein Slogan, der auf Demos gerufen und auf T-Shirts gedruckt wird: Black Lives Matter reicht zurück in die Zeit der Versklavung und Unterdrückung Schwarzer Menschen in Nord- und Südamerika und auch auf dem afrikanischen Kontinent.

Ein Blick in diese koloniale Vergangenheit macht deutlich, wie die jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung Schwarzer Menschen ideologisch untermauert und gerechtfertigt wurde. Und er ist notwendig, um Rassismus gegen Schwarze Menschen heute zu verstehen.

#Geschichte

Koloniales Denken existierte bereits, bevor die ersten Kolonien überhaupt entstanden: Schon der Begriff „Kolonialismus“ (von lat. „colonia“: besiedeln, urbar machen, bebauen), der die Besetzung afrikanischer Länder durch europäische Kräfte bezeichnet, enthält nämlich die Vorstellung, die zu kolonisierten Gebiete seien unzivilisiert. Zudem bildeten die Wissenschaft und das Zeitalter der „Aufklärung“ (dominante Erzählung von Erkenntnistheorien, Emanzipation, Befreiung …) eine wesentliche Grundlage für Rassentheorien und somit auch für den bis heute andauernden Rassismus gegen Schwarze Menschen. Diese „wissenschaftlichen Rassentheorien“, die Menschen hierarchisierten, sprachen Schwarzen Menschen ihr Menschsein ab. Sie waren ideologische Grundlage und Legitimation für die Versklavung, Kolonisierung und Ausbeutung Schwarzer Menschen, der Ausbeutung von natürlichen und menschlichen Ressourcen, der Zerstörung von Kulturen, Sprache, Religionen – Gesellschaften durch die westliche, weiße „Hochkultur“.

Noch heute zeigt sich die Vorstellung, dass Weiße ganz selbstverständlich über Schwarze Menschen und deren Körper verfügen dürfen darin, dass Schwarze Menschen oft ungefragt an Haut und Haaren angefasst werden, dass die Errungenschaften Schwarzer Kulturen wie selbstverständlich von weißen angeeignet werden, ohne deren Ursprung zu nennen, und nicht zuletzt in körperlicher Gewalt gegen Schwarze Menschen.

#Gegenwart

Der Kolonialismus existiert offiziell nicht mehr, und die Versklavung von Menschen ist verboten. Doch auf wirtschaftlicher und politischer Ebene wurden kolonial- und sklav*innenähnliche Beziehungen bis heute aufrechterhalten. Ebenso aufrechterhalten geblieben sind die Bilder von Schwarzen Menschen, die in den Zeiten des Kolonialismus und der Versklavung entstanden sind. Diese Bilder haben sich seitdem weiterhin in unsere westliche weiße Gesellschaft und Geschichtsschreibung eingebrannt. Ob in Kinderliedern, Schulbüchern, Filmen und TV-Serien oder der Werbung: Schwarze Menschen werden als dumm und unfähig dargestellt, Afrohaare werden als unzivilisiert und Wucherfrisur betitelt, Schwarze Fußballspieler*innen werden mit Affenlauten beschimpft und von Afrika wird so gesprochen, als sei es ein einziges Land, bewohnt von „Afrikanern“. Dadurch wird die Vielfalt eines gesamten Kontinents unsichtbar gemacht. Außerdem sind Erzählungen vom Afrikanischen Kontinent überwiegend solche der Armut, des Hungers und der Kriege. All diese Erzählungen und Bilder von Schwarzen Menschen wirken sich real auf den Lebensalltag dieser in Deutschland (und anderen mehrheitlich weißen westlichen Gesellschaften) aus: in der Schullaufbahn und dem Zugang zu guter schulischer Bildung, dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt.

#rassistischeGewalt
#Polizeigewalt

Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen ist nicht nur in den USA ein Thema, sondern gehört auch in Deutschland für viele Schwarze Menschen und Menschen of Color zum Alltag – zum Beispiel durch Racial profiling. Da Racial profiling offiziell verboten ist, gibt es seitens des Bundes keine eigens erhobenen Daten dazu. Die Initiative „Death in Custody“ (Tod in Polizeigewahrsam) zählte zwischen 1990 und 2020 159 Fälle von BPoC, die in Polizeigewahrsam oder durch rassistische Polizeigewalt ums Leben gekommen sind.

#Sprache

Vielen Menschen ist mittlerweile bewusst, dass das N-Wort oder auch das M-Wort problematisch sind, trotzdem werden beide Begriffe noch immer häufig benutzt: Als Beleidigung, aus Gewohnheit, als Zitat, aber auch als vermeintlich „ganz normale“ Bezeichnung für Schwarze Menschen. Wer viel englischsprachigen Rap, Hip-Hop und R’n’B hört, kann angesichts der Leichtigkeit, mit der Schwarze Musiker*innen das N-Wort benutzen, den Eindruck gewinnen, der Begriff sei unproblematisch.

Bei dem N-Wort handelt es sich um eine zutiefst verletzende und gewaltvolle Beleidigung, die benutzt wurde (und wird), um Schwarze Menschen zu stigmatisieren. Er ist verknüpft mit Lynchgewalt und in unzähligen Witzen, Liedern und Cartoons zu finden, die die Abwertung Schwarzer Menschen widerspiegeln. Innerhalb Schwarzer Communities ist umstritten, ob das N-Wort in empowernder Absicht als Selbstbezeichnung verwendet werden sollte oder ob es ganz aus dem Wortschatz verschwinden sollte.

Weiße Menschen und Menschen of color jedenfalls sollten das Wort aus unserer Sicht unter keinen Umständen benutzen – auch nicht als Zitat.

#BlackLivesMatter

Vor dem Hintergrund der Rassismuserfahrungen, die dezidiert Schwarze Menschen erleben, ist #BlackLivesMatter eine Forderung nach Anerkennung der kolonialen Kontinuitäten und der noch immer bestehenden strukturellen Gewaltverhältnisse – eine Gegenbewegung, die „All Lives Matter“ (alle Leben zählen) fordert, übersieht diese Strukturen – oder will sie absichtlich unsichtbar machen und die „Black Lives Matter“-Forderungen delegitimieren. Es ist aber wichtig anzuerkennen, dass Rassismus tief in den gesellschaftlichen Strukturen und damit in jedem Menschen verankert ist, um ihn wirksam bekämpfen zu können.

„Black Lives Matter“ ist deshalb nicht nur eine Aufforderung zur Solidarität innerhalb der Schwarzen Community und ein Aufruf zum Aktivismus, sondern auch eine Forderung an die nicht-schwarze Gesell - schaft, sich mit dem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen und an ihm zu arbeiten.

Denn die kompromisslose Anerkennung von Geschichte, Gegenwart und Alltag Schwarzer Menschen ist die Voraussetzung für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung Schwarzer Menschen – in Deutschland und überall.