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Arielle ist jetzt Schwarz
Eine Schwarze Schauspielerin, Halle Bailey, spielt in der Verfilmung des Zeichentrickfilms „Arielle“ die Nixe. Und in Tolkiens Mittelerde gibt es nun auch Platz für Schwarze Elben, Zwerge und Hobbits, zumindest in einer an die „Herr der Ringe“-Bücher angelehnten Serie, die vor Kurzem angelaufen ist. Viele freuen sich derzeit über mehr Sichtbarkeit von Schwarzen und Personen of Color in der Fantasywelt – andere empören sich wortreich und kippen ihre Abscheu in die Kommentarspalten der sozialen Medien. Wir erleben einige bizarr anmutende Debatten – etwa über die Frage, ob diese Besetzungen die angeblich „unpolitische“ Fantasy kaputt machen. Und wir fragen uns: Was wird hier eigentlich debattiert?
Sichtbarkeit und Repräsentation von Diversität sind einer vielfältigen Gesellschaft nicht selbstverständlich, sie müssen erkämpft werden. Über Jahrzehnte hinweg war die gesellschaftliche Realität in Film und Fernsehen schlichtweg abwesend – und das nicht nur auf der Ebene der Schauspieler*innen. Oft spielten Weiße noch die Rollen von PoC, betrieben Blackfacing, während nichtweiße Schauspieler*innen in Klischeerollen abgedrängt wurden. Dass große Blockbuster-Produktionen jetzt verstärkt auf einen diverseren Cast setzen, ist vor diesem Hintergrund ein Fall von später Gerechtigkeit– abgesehen davon, dass es sich die großen Medienhäuser schlichtweg nicht mehr leisten können, ihr diverses Publikum zu ignorieren.
„Don´t make it political“ – ein Aufschrei reaktionärer Fans
Es fällt auf, dass solche „diversen“ Casting-Entscheidungen besonders in der Fantasy für starken Gegenwind sorgen. „Don’t make it political“ ist der klischeeförmige Aufschrei reaktionärer Fans, die sich provoziert fühlen, wenn in der TV-Version von Neil Gaimans „Sandman“-Comics plötzlich eine Schwarze Frau die Rolle von Death spielt. Die Anwesenheit Schwarzer Menschen im Cast wird schon als politisch behauptet – doch würde heute eine solche Serie mit einem komplett weißen Cast gedreht, wäre dies natürlich auch ein politisches Statement.
Dabei wird oft vergessen, dass viele Klassiker der Fantasy rassistisch und sexistisch sind, oft auch queerfeindlich und antisemitisch. Ob Robert E. Howard, Tolkien oder Lovecraft: In vielen der Gründungsdokumente des Genres finden sich menschenfeindliche Versatzstücke, die schon zur Zeit der Autoren grenzwertig waren. Tolkien etwa hat zwar eine humanistische Grundbotschaft, betreibt aber im Grunde Ethnopluralismus: Die „Völker“ Mittelerdes haben alle markante, äußerliche Eigenschaften, die mit ihren im Grunde unveränderlichen Charakterzügen korrespondieren. Nach Tolkiens eigener Aussage sollen die Zwerge an Jüdinnen und Juden erinnern – handeln dann aber gierig und nachtragend, einfach weil sie Zwerge sind. Die Elben sind schon deswegen gut, weil sie Elben sind. Orks haben gleich gar kein Bewusstsein, werden als geistlose, animalische Figuren, quasi als „Unterwesen“ gezeichnet, mit denen keine Kommunikation möglich ist und deren Tötung als Sport behandelt wird. Ausnahmen gibt es zwar, doch nur, um die Regel zu bestätigen. Und was den Humanismus angeht: Zwar kommen die „Völker des Westens“ in einer Notlage zusammen, um das Böse zu besiegen, danach werden sie aber wieder ihrer „Natur“ nach aufgeteilt, kehren in ihre Heimatländer zurück, was als natürliche Ordnung der Dinge dargestellt wird.
Fantasy als Ort des weißen Eskapismus?
Auch aktuellere Stoffe, die etwas reflektierter mit dem Thema umgehen, sind von solchen Annahmen nicht frei. So wird in „Die Tribute von Panem“ die natürliche Welt ehrlicher Arbeit, wie sie die bettelarmen Distrikte kennzeichnet, gegen die dekadente und korrupte Hauptstadt gesetzt – und als Zeichen dieser Dekadenz queere Mode und nichtbinärer Geschlechtsausdruck verwendet. Queers sind reich, böse und haben den Kontakt zur Realität der Arbeit verloren, während ehrliche Arbeiter*innen „natürlich“ hetero sind – Botschaften, die Queerfeind*innen jeder Couleur sofort unterschreiben würden.
Es scheint, dass Fantasy allzu oft ein Ort eines rein weißen Eskapismus ist – der erbittert verteidigt werden muss.
Lässt sich Diversität einfach reinmontieren?
Aber auch Schwarze Menschen haben Kritik an dieser Casting-Strategie – besonders, wenn die Diversität ganz oberflächlich bleibt. Schwarze Charaktere, so die Kritik, werden in die Handlung hineinmontiert, ohne ihre Geschichte und die Konsequenzen zu entwickeln. Schwarze Realitäten werden ausgeblendet. Was bedeutet die Existenz Schwarzer Elben in Tolkiens Welt? Werden sie dort als Schwarz gelabelt, wurden oder werden sie diskriminiert? In der bloßen Abbildung nichtweißer Menschen werden Geschichten ausgeblendet, statt sie zu thematisieren.
Repräsentation müsste in sich mehr darstellen, Autor*innen, Regisseur*innen und alle übrigen Ebenen der Produktion miteinbeziehen. Die bloße Anwesenheit Schwarzer Schauspieler*innen ist kein Allheilmittel, auch kann der Cast nicht beliebig in eine Produktion eingreifen.
Die Studios versuchen, ein neues Publikum für die alten Stoffe zu interessieren – manche der Stoffe sind aber schon intrinsisch problematisch. Keine noch so diverse Besetzung kann eine Fantasy-Welt retten, in der Personen aufgrund ihrer Abstammung automatisch gut und böse sind, in der die rassistischen Klischees schon in der DNA der Franchise angelegt sind. Eigentlich müssten ganz neue Geschichten erzählt werden, Geschichten, die schon von Anfang an rassismus- bzw. allgemein diskriminierungskritisch informiert sind. Doch durch die Fixierung der Industrie auf die alten Stoffe, treten neuere Produktionen in den Hintergrund, erhalten weder die Aufmerksamkeit noch die nötige Finanzierung. Dabei gibt es viele Buchreihen, die als Grundlage anderer Fantasy-Erzählungen dienen können und zum Teil auch werden. Sei es die „Children of Blood and Bone“-Reihe von Tomi Adeyemi, oder die Bücher von Namina Forna „The Gilded Ones“. Auf die Verfilmung können wir uns nur freuen.
Um die Frage von Beginn zu beantworten: Es geht nicht um Debatte, es geht um tiefverankerten Rassismus. Mehr Sichtbarkeit und Repräsentanz durch einen diverseren Cast ist ein wichtiges Puzzelteil im Kampf gegen Rassismus. Aber der Ansatz kratzt an der Oberfläche. Es geht darum, gesellschaftliche Realitäten sinnvoll abzubilden - statt wegzuignorieren.
So bleibt die Fantasy ein Genre, das sich immer wieder gerade noch in die gesellschaftliche Legitimität rettet, während die problematischen Grundideen, auf denen viele ihrer Genremerkmale beruhen, nie hinterfragt werden – und sich in den Köpfen festsetzen.
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