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von Laura Grosse
26. April 2022


Kann eine Regenbogenflagge das Ende für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten? Ist die Corona-Krise eine Bestrafung für die Gleichstellung von Schwulen, Lesben und trans Personen? Kann ein Gendersternchen die Kleinfamilie zerstören?

Natürlich nicht. Aber christliche, konservative und rechte Verschwörungsideolog*innen glauben das fest.

Sie glauben an den sog. Genderismus oder Gender-Ideologie und verstehen darunter die angebliche systematische Bevorzugung von Frauen, homosexuellen, transgeschlechtlichen, transident und nicht-binären Personen. Diese würden die tatsächlichen politischen Gleichstellungsbemühungen ausnutzen, um die jetzige Gesellschaft umzuwerfen und alle heterosexuellen und heteronormativen Menschen zu entmachten. So werden Gleichberechtigungsbestrebungen für Rechte und Rechtsextreme zum großen Verschwörungsmythos, um ihre Privilegien als weiße, homogene und heteronormative Gruppe zu schützen und eine Täter-Opfer-Umkehr zu konstruieren. Damit verleumden sie demokratische Grundwerte. 

Die Verschwörung gegen Gleichberechtigungsbestrebungen speist sich aus dem Antifeminismus, Antisemitismus sowie einer anti-wissenschaftlichen Haltung. Alles, was nicht der heterosexuellen, weißen und biologistischen Geschlechternorm entspricht, wird abgelehnt, lächerlich gemacht oder dämonisiert. 

Am Anfang dieser Verschwörungsideologie steckt der Antifeminismus. Er drückt sich in der Reduktion der cis Frau (cis als Bezeichnung für Personen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt) als Reproduktions- und Fürsorge-Kraft aus. Die Frau sei aufgrund ihrer Körpermerkmale nur für diese Arbeiten geschaffen und somit verpflichtet, diese Rolle zu erfüllen. Indessen sei der cis Mann allein dazu befähigt, autonom zu agieren und somit produktive und politische Arbeit auszuführen. “Von Natur aus” sei die Frau dafür da, dem Mann alle Bedürfnisse zu erfüllen, wie Erziehung, Nahrungszubereitung, psychische Fürsorge, etc., damit er ein freies Leben führen und an der Gesellschaftsgestaltung teilnehmen kann.

Die Vorstellung, die Geschlechtsidentität sei determiniert, widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das biologische Geschlecht ist zwar ein Teil der Geschlechtsidentität, aber nicht ihr alleiniger Bestandteil. Menschen, die sich nicht auf ihre Biologie reduzieren lassen wollen, gelten jedoch in der rechten Ideologie als Bedrohung der gesellschaftlichen Verhältnisse.  

Dass dieser Antifeminismus aus dem Antisemitismus entspringt, ist auf den ersten Blick nicht so einfach zu erschließen. Diese Verbindung wird deutlich, wenn man sich die den Verschwörungsmythos vom “Großen Austausch” vor Augen führt: Demzufolge würden christlich-westliche Werte gezielt untergraben, um die weiße Mehrheitsbevölkerung Europas und der USA auszulöschen. Ihre Bewohner*innen würden durch nicht-weiße Kräfte ersetzt werden.  

Dahinter steckten, so die Verschwörungserzählungs-Anhänger*innen, “die Eliten”, “Multikulturalisten”, “Kulturmarxisten”, etc. – leicht erkennbar Chiffren für Jüdinnen und Juden. Schon vor dem Nationalsozialismus wurden sie beschuldigt, die westliche Gesellschaft unterwandern, verweiblichen und somit zerstören zu wollen. Dieser Vorwurf kehrt hier im Kontext einer globalisierten, vom Kapitalismus bestimmten Welt zurück. Für als negativ empfundene, abstrakte Aspekte des Kapitalismus, so auch die Emanzipation der Frauen, Homosexuellen und nicht-heteronormativen Menschen, werden Jüdinnen und Juden verantwortlich gemacht. 

Alle Verschwörungstheorien vernachlässigen wissenschaftliche Erkenntnisse. So auch die von der Gender-Ideologie. Die wissenschaftliche Disziplin der Gender Studies stellen deshalb ein besonderes Feindbild dar. Sie gelten in rechten Kreisen als elitäre Vereinigung, die den “Genderismus” vorantreibe. In Wirklichkeit vereinigt die interdisziplinäre Forschung Methoden und Theorien der Psychoanalyse, Pädagogik, Soziologie, Kulturtheorie, Biologie, Linguistik und viele mehr, um die Geschichte, Wirkung und Dimensionen der Geschlechterverhältnisse und -konstruktion zu untersuchen.

Ergebnisse der interdisziplinären Forschung der Gender Studies sind durchaus unterschiedlich deutbar. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie unwissenschaftlich oder irrelevant wären. Die Gender Studies haben darüber hinaus alternative Beziehungskonzepte oder Geschlechtsidentitäten nicht, wie von Verschwörungstheoretiker*innen behauptet, erfunden sondern lediglich dazu beigetragen, diese sichtbarer zu machen.