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Doch das Phänomen der Impfgegner*innen ist nicht neu. Eine lange Geschichte kurz erzählt ...

Die Coronapandemie hat viele gefährliche Verschwörungserzählungen zu Impfungen hervorgebracht. Für die einen ist die Covid-19-Impfung eine „Biowaffe, um die Menschheit auszurotten“, andere glauben, dass der Impfstoff „die Gene verändert und unfruchtbar macht“. Auch die Geschichte von „Drahtzieher“ Bill Gates, der uns beim Impfen angeblich einen Mikrochip in den Körper injizieren möchte, zwecks „totaler Kontrolle“, ist weitverbreitet. Um es deutlich klarzustellen: Keines der hier genannten Narrative ist belegt, alle lassen sich durch Faktenchecks leicht entkräften und dennoch: In Kreisen von Verschwörungstheoretiker*innen halten sich die Mythen hartnäckig. Dabei drängt sich auch die Frage auf, ob Impfgegner*innen eigentlich ein neues Phänomen sind? – Keineswegs. Impfgegner*innen und ihre Mythen sind so alt wie die Erfindung der Schutzimpfung selbst.

Vor ca. 200 Jahren wurde die erste Impfung der modernen Medizingeschichte durchgeführt. Dabei ging es um die Bekämpfung der Pocken, einer hochansteckenden Viruskrankheit mit grippeähnlichen Symptomen und schwerem Hautausschlag, die lebensgefährlich war und von der besonders Kinder betroffen waren. Zuvor wütete die Seuche über Jahrhunderte auf der Erde und raffte schätzungsweise 400 Millionen Menschen dahin. Der Durchbruch gelang im Jahr 1796, als der englische Arzt Edward Jenner einen Jungen über einen Schnitt in den Oberarm (Spritzen gab es noch nicht) mit Kuhpocken infizierte und das Kind so gegen Menschenpocken immunisierte. Zuvor hatte er beobachtet, dass Menschen, die mit den harmlosen Kuhpocken infiziert waren, danach nicht mehr an den gefährlichen Menschenpocken erkrankten.

Seit den 1980er-Jahren gelten die Pocken – dank der Impfung – als ausgerottet. Ein „Comeback“ ist jedoch nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit der Pockenimpfung ist belegt und gilt bis heute als bahnbrechender Erfolg für die Wissenschaft. Jenner nannte den Impfstoff „Vaccine“. Daraus leitet sich der heutige Begriff für Impfungen ab: „Vakzination“. Der englische Arzt wurde für seine Errungenschaft gefeiert – aber auch gehasst. Denn seine Erfindung rief die ersten Impfgegner*innen auf den Plan, deren Mythen den heutigen in puncto Absurdität in nichts nachstanden. So verbreiteten sie bspw. den Glauben, dass die Impfung Menschen in Kühe verwandeln würde. Eine große Gegnerschaft behauptete zudem, die Impfung würde die göttliche Vorsehung durchkreuzen oder schlicht nicht funktionieren.

Die „natürlichen“ Selbstheilungskräfte des Körpers wurden heraufbeschworen. Und noch heute wird von einigen esoterisch geprägten Impfgegner*innen die Meinung vertreten, man müsse bestimmte Krankheiten durchmachen, damit man spirituell weiterkommt – was jedoch auch tödlich enden kann. Aktuelle Studien zeigen zudem: je größer der Glaube an Homöopathie, umso geringer die Impfbereitschaft.
Einer der vehementesten Impfgegner der 1850er-Jahre war der deutsche Arzt Carl Georg Gottlob Nittinger, der unermüdlich die These verbreitete, dass die Pockenimpfung einen schädlichen Einfluss auf das Bevölkerungswachstum, die Wehrtüchtigkeit und die Lebenserwartung der Menschen hätte und dabei das Schlagwort „Impfvergiftung“ bemühte.

Illustrationen aus dem Umfeld von Nittinger, die zur „Aufklärung“ dienten, sind zudem häufig antisemitisch. Impfgegner*innen führen hier den Niedergang Deutschlands auf Impfungen zurück – die vermeintlich von Juden erfunden wurden, um sich zu bereichern. Die krude Idee, die Vakzination habe „mit den Rothschilds“ zu tun, die angeblich davon profitieren, hört man auch heute im Zusammenhang mit Corona. Die gegenwärtigen Impfmythen sind also im Kern keine Erfindungen unserer Zeit, sie präsentieren sich höchstens in einem dem Zeitgeist angepassten Gewand.

Viele Nationalsozialisten lehnten Impfungen ebenfalls ab, auch wenn sie sonst bei ihren zweifelhaften Bestrebungen zur „Volksgesundheit“ vor nichts zurückschreckten – nicht vor Zwangssterilisationen und auch nicht vor der sogenannten „Euthanasie“. Unter ihnen gab es zahlreiche Impfgegner, die Anhänger der Naturheilkunde waren. Ansonsten galt das antisemitische Narrativ der „jüdischen Weltverschwörung“. Ein Verband von Impfgegner*innen aus Wilhelmshafen behauptete gar, durch das „Einimpfen von Krankheiten“ solle die Menschheit der „jüdischen Geldherrschaft unterworfen“ werden.

Es zeigt sich also: Verschwörungstheorien im Kontext von Impfungen haben eine lange und traurige Tradition – und sie sind häufig antisemitisch geprägt. Heute wie damals. Es liegt also an jedem*jeder Einzelnen von uns, sie kritisch zu hinterfragen und nicht zu reproduzieren.

Mehr über Impfgegner*innen und Verschwörungstheorien erfahrt ihr in unserer digitalen Ausstellung „matter of fact – Warum wir an Verschwörungstheorien glauben wollen“:
bsaf.info/matteroffact

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Zum Livestream: bsaf.info/esoterik

Quellen:
MDR, 31.01.2022, Die Geschichte der Impfgegener
NDR, 4.03.2022, Die Geschichte des Impfens uns seiner Gegner
Das Erste, Kontraste, 4.11.2021, Wie Verschwörungstheorien Hass säen
RND, 23.11.2021, Homöopathie und Pandemie: Nein zum Impfen aus Liebe zur Natur
Österreichische Akademie der Wissenschaften, 25.08.2020, Geschichte der Impfung: „Impfgegner führten damals religiöse Motive an