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26. Juli 2022
Von Laura Grosse


Der Techno-DJ Dr. Motte hat Anfang Juli auf der „Rave the Planet“-Veranstaltung vor 200.000 Teilnehmenden einen Sticker in die Höhe gehalten.

Das Problem an dieser Aktion: Der Sticker zeigt das Logo der „Freedom Parade“, einer Veranstaltungsreihe der Querdenker*innen, die sich gegen die Solidargemeinschaft stellen und Überschneidungen zur Neuen Rechten und esoterischen Rechten aufweisen. Nach Kritik veröffentlichte Dr. Motte einige Tage später ein Statement und taggte die Bildungsstätte Anne Frank auf seinen Social-Media-Kanälen. Er schrieb, dass er die Aufschrift mit einem gleichnamigen Straßen-Rave in Polen verwechselt habe.

Tatsächlich ist Dr. Motte aber schon in der Vergangenheit mit problematischen Äußerungen in die Kritik geraten. Und auch die Techno-Szene an sich ist nicht frei von Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Zwar behaupten Veranstalter*innen, DJs und Clubs gerne, dass Techno nicht politisch sei. Kultur, Musik und generell die Veranstaltungsindustrie als unpolitisch zu sehen, ist aber eine einfache Ausrede, um sich vor Verantwortung zu drücken.

Das wird besonders auffällig, wenn man einen Blick auf problematische Vorfälle in der Szene wirft: Dazu zählen etwa regelmäßige K.-o.-Tropfen-Angriffe, sexuelle Übergriffe in Technoclubs und eine teils rassistische Tür-Politik. Auch Songs und DJs, die rechte Codes, Anspielungen oder offene antisemitische Inhalte reproduzieren, findet man am Rande der Szene. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Beispielsweise kann man heute zur Musikauswahl eines am bosnischen Genozid beteiligten Kriegsverbrechers tanzen, wenn man Belgrad besucht. Das wirft die Frage auf: Ist die Techno-Szene besonders anfällig für Gewalt, Querdenkende oder Neo-Nazis?

Oft wird versucht, aus der maschinenartigen, harten Musik und ihrer teils düsteren Ästhetik eine Affinität für Gewalt oder menschenfeindliche Einstellungen abzuleiten. Und ja, es gibt sie, die DJs und Produzenten, die sich zur Neuen Rechten zählen. Jedoch ist dies ein eher neuartiges Randphänomen. Denn die Wurzeln des Technos sind Schwarz, weiblich und queer. In den Anfängen der elektronischen Musik haben sich insbesondere cis und trans Frauen wie Wendy Carlos, Deliah Derbyshire oder Suzanne Ciani als Avant-Garde hervorgetan. Durch ihre bahnbrechende Arbeit legten sie den Grundstein für erste elektronische Pianos und Synthesizer, die bald schon im Mainstream ankamen.

In den 70ern war es die deutsche weiße Band Kraftwerk, deren elektronische Musik den Grundstein für Technomusik legte. Der Sound Kraftwerks wurde in der Schwarzen Mittelschicht Chicagos und Detroits stark rezipiert. Und inspirierte DJs wie Juan Atkins, Jeff Mills und Derrick May. Sie entwickelten das Techno-Genre weiter und verbreiteten ihre anti-rassistischen Ideale. Dadurch entstand ein reger wechselseitiger Austausch zwischen europäischer Elektro-Musik und der Black Community aus den US-amerikanischen Industrie-Hauptstädten. Darüber hinaus lieferte House-Musik, eine verwandte Musikrichtung des Technos, den Soundtrack der Schwarzen Ballroom- und Queer-Szene Chicagos.

Hierzulande spukt vor allem noch das Bild der Nazi-Raver aus der Gabber-Szene in vielen Köpfen. Gabber ist ein Sub-Genre des Technos und zeichnet sich durch bis zu 220 BPM schnelle Songs und verzerrte Sounds aus. In den 90ern nahmen Neo-Nazis die Hooligan-Ästhetik von Glatzen und harte, schnelle Musik für sich ein, wodurch rechte DJs den Trend für sich nutzten. Ironischerweise ist der Name „Gabber“ ein Lehnwort aus dem Jiddischen und bedeutet „Freund“. Die Musik ist zwar aggressiv, jedoch ist der Umgang innerhalb der Szene freundlich und weltoffen. Die meisten Gabber-DJs und Labels wie „United Hardcore Against Racism & Fascism“ steuerten aktiv gegen die Tendenz, sich ihre Musik von Nazis wegnehmen zu lassen.

Techno und Clubkultur waren schon immer politisch und werden es immer sein. Denn der Anspruch von Techno ist es nicht nur, die Musik der Zukunft darzustellen, sondern auch damit einhergehende Konzepte wie eine progressive, befreite Gesellschaft abzubilden. Clubs sollen Schutz- und Spielräume bieten, um diese Utopien auszuleben. Deshalb herrscht in den meisten Clubs, auf Raves und Festivals das Credo: No racism, no sexism, no antisemitism. Dass es trotzdem immer wieder zu Übergriffen, Streitigkeiten und gefährlichen Situationen kommt, liegt an strukturellen Problemen, die den Kulturbetrieb insgesamt betreffen: Ein fehlendes Bewusstsein für die Erscheinungsformen von Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Einstellungen und dafür, wer von der Diskriminierung anderer (sozial und/oder finanziell) profitiert.

DJs, Clubs und Veranstaltende müssen sich bewusst werden, welchen Einfluss sie haben und entsprechende Verantwortung übernehmen. Allen voran Dr. Motte, eine der wichtigsten Figuren der deutschen Techno-Szene. Zwar retweetet er zurzeit Bildungsposts über den Holocaust, jedoch kann und muss man in seiner Position mehr leisten.