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Die Befreiungsaktion scheiterte kläglich. Alle Geiseln starben. Lange schien es, als würde die Feier wegen eines Streits um Entschädigungszahlungen ohne die Angehörigen stattfinden. Nun kam es zu einer Einigung.

Olympia-Attentat 1972 – Was ist passiert?
Die Olympischen Spiele in München im Jahr 1972 hätten als „Fest des Friedens“ in die Geschichte eingehen sollen – ein Gegenentwurf zu den düsteren Olympischen Sommerspielen in Berlin 1936, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft stattfanden. Alles kam anders. Am frühen Morgen des 5. September 1972 stürmten acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ die Unterkunft der israelischen Olympiamannschaft der Männer. Zwei israelische Sportler konnten entkommen, der Ringer Mosche Weinberg und der Gewichtheber Jossef Romano wurden vor Ort kaltblütig erschossen. Insgesamt neun Sportler befanden sich anschließend in der Gewalt der Terroristen.

Der „Schwarze September“ war die geheime terroristische Abteilung der Fatah, des militärischen Arms der Palestine Liberation Organization (PLO). Die Geiselnehmer forderten von Israel die Freilassung von über 200 in Israel inhaftierten Palästinensern und von Deutschland die der beiden ebenfalls inhaftierten RAF-Terrorist*innen Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die 1970 ein militärisches Training in einem Lager der Fatah absolviert hatten. Die deutsche Regierung wollte zunächst auf die Forderung eingehen, Israel unter Premierministerin Golda Meier riet hingegen davon ab: „Wenn wir nachgeben, wird sich kein Israeli irgendwo auf der Welt noch seines Lebens sicher fühlen.“

So begannen die ersten Sportveranstaltungen zeitgleich zu den Verhandlungen mit den Terroristen. Ihr Ultimatum wurde mehrmals verschoben. Deutsche Medien berichteten live aus dem Olympischen Dorf und filmten dabei ein schwer bewaffnetes Einsatzkommando, das die Apartments stürmen sollte. Man hatte versäumt, den Terroristen den Strom abzustellen und die Presse zu entfernen. Die Terroristen sahen die Bilder im Fernsehen, änderten ihre Strategie und forderten nun, mit den Geiseln ungehindert nach Kairo auszureisen. Trotzdem wurden die Spiele erst gegen 16 Uhr unterbrochen.

Am Abend eskalierte die Lage. Ein Bus brachte die Attentäter und Geiseln zu zwei Hubschraubern, die sie wiederum zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck in München flogen. Dort stand ein Flugzeug bereit, allerdings mit fast leeren Tanks. Eigentlich sollten die Terroristen anschließend von als Besatzungsmitgliedern verkleideten Polizisten überwältigt werden, doch diese brachen den Einsatz vor der Landung der Helikopter eigenmächtig ab. Der Grund: wegen ihrer schlechten Ausrüstung erachteten sie die Aktion als aussichtslos. Die Terroristen fanden das Flugzeug leer vor. Als sie auf das Vorfeld zurückkehrten, eröffneten die lediglich fünf bereitgestellten Scharfschützen (für acht Terroristen!) das Feuer – mit mäßigem Erfolg, zunächst wurde nur ein Terrorist getroffen. Die Scharfschützen hatten zudem keinen Funkkontakt und schossen ohne Zielabsprache. Der viel zu spät angeforderte Panzerwagen steckte im Stau fest. Derweil verkündete Regierungssprecher Conrad Ahlens der Öffentlichkeit, die Aktion sei „glücklich und gut verlaufen“. Ein fataler Trugschluss.

Als um Mitternacht endlich die angeforderten Panzerwagen eintrafen, erschoss einer der Terroristen die gefesselten Geiseln im ersten Helikopter. Ein anderer warf eine Handgranate in den zweiten. Alle neun Geiseln starben. Die Opfer sind die Gewichtheber David Berger und Ze‘ev Friedman, Kampfrichter Yossef Gutfreund, Ringer Eliezer Halfin, Fechttrainer André Spitzer, Leichtathletiktrainer Amitzur Schapira, Schützentrainer Kehat Shorr, Ringer Mark Slavin und Kampfrichter Yakov Springer.

Fünf der acht Terroristen starben ebenfalls, ebenso der bayerische Polizist Anton Fliegerbauer. Drei Terroristen wurden festgenommen, aber nur wenige Wochen später durch die Entführung einer Lufthansa-Maschine freigepresst. Die Spiele wurden nach einer eintägigen Unterbrechung mit dem zynischen Satz „The games must go on!“ fortgesetzt.

Die Sicherheitsbehörden der deutschen Regierung hatten versagt. Als Konsequenz aus dem Anschlag gründete die BRD anschließend die Antiterroreinheit GSG9.

Der Fernsehjournalist Ron Ben Yishai recherchierte intensiv zu dem Anschlag. Er erklärt, dass israelische Hinweise zu einem möglichen Attentat im Vorfeld von deutscher Seite ignoriert wurden. Die israelische Bevölkerung sei danach empört gewesen: „Viele warfen den Deutschen vor, sie hätten so schlecht reagiert, weil es ihnen egal war, und sie sich dachten, wenn ein paar jüdische Sportler sterben, dann ist das halt so. Das war der Vorwurf.“

2012 enthüllte der Spiegel, dass die terroristische Organisation „Schwarzer September“ bei ihrem Attentat von deutschen Neonazis unterstützt wurde.

Gedenkfeier ohne Angehörige?
50 Jahre nach den Morden soll der Opfer des Attentats nun mit einer großen Gedenkfeier in Fürstenfeldbruck/München gedacht werden. Die Angehörigen, die seit Jahrzehnten um ein würdiges Andenken und eine lückenlose Aufarbeitung der Ereignisse kämpfen, kommentierten die Veranstaltung im Vorfeld mit Skepsis. Die Gründe waren die von der Regierung zurückgehaltenen und gesperrten Ermittlungsakten zum Attentat, verschleppte Erinnerungsarbeit ebenso wie das Thema Entschädigungszahlungen. Auch gab es bis heute keine offizielle Entschuldigung für das Versagen der Regierung beim gänzlich missglückten Befreiungsversuch.

Inzwischen haben die Behörden eingelenkt und einer umfassenden historischen Aufarbeitung und der Öffnung des Archivs zugestimmt – und sie wollen die Mitverantwortung bei der Gedenkveranstaltung thematisieren. Auch die Frage nach der Entschädigung kam erneut auf den Tisch. Doch die letzten zermürbenden Jahre des Kampfes haben tiefe Wunden bei den Angehörigen hinterlassen. Sie lehnten die angebotene Entschädigungsanzahlung als „beleidigend“ ab und sagten ihre Teilnahme an der Gedenkveranstaltung ab.

Kurz vor der Gedenkfeier kam es nach jahrzehntelangem Streit nun zu einem Einlenken seitens der Regierung – und einer Einigung auf den Betrag von 28 Millionen Euro. Eine wichtige Entwicklung, denn die Gedenkfeier kann und wird nun in Anwesenheit ihrer wichtigsten Teilnehmenden stattfinden: der Angehörigen.

Ein Schaden ist dennoch entstanden. Denn das Verständnis in der deutschen Öffentlichkeit für die Forderungen der Hinterbliebenen scheint sehr gering. In den Kommentarspalten der Pressebeiträge rund um den Streit wimmelt es nur so vor antisemitischen Ressentiments. Liegt es mangelndem Wissen? Um die im Laufe der letzten Jahre entstandenen Verletzungen bei den Angehörigen besser zu verstehen, muss man ihnen zuhören und sich in ihre Perspektive beim jahrzehntelangen Kampf um Gerechtigkeit hineinversetzen.

Gesperrte Akten behindern jahrzehntelang lückenlose Aufklärung
Ankie Spitzer, Sprecherin der Hinterbliebenen und Witwe des ermordeten Fechttrainers André Spitzer, erklärte im Juli 2022: „Alles ging schief in München. Jeder duckte sich weg. Keiner wollte Verantwortung tragen. Bis heute, 50 Jahre später, hat keiner mal gesagt: ‚Es tut uns leid. Wir haben falsch entschieden. Wir waren inkompetent‘. Sie waren arrogant und haben uns die ganze Zeit gedemütigt.“ Bereits vor einigen Monaten sagte sie im Gespräch: „Wofür sollen wir kommen? Um Danke zu sagen? Danke für was? Dafür, dass die grundlegendsten Informationen vor uns versteckt wurden? Dass uns gesagt wurde, es gäbe keine Dokumente?“

Verschleppte Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit zum Attentat
Eine eigene Gedenkstätte im Olympiapark in München, die an die Opfer erinnert, wurde erst 2017 eingeweiht – 45 Jahre nach dem Attentat. Es gab zuvor keinen angemessenen Ort des Gedenkens in der Stadt. „Man hatte den Eindruck, dass München sich nicht erinnern wollte“, sagte Ankie Spitzer. Erst 49 Jahre später gab es bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 erstmals eine Schweigeminute für die Opfer des Attentats, die die Angehörigen so lange vergeblich gefordert hatten. Bis dahin hatte die IOC eine solche stets abgelehnt, u.a. mit der Begründung, die Eröffnungszeremonie sei nicht „das richtige Umfeld, um an einen so tragischen Vorfall zu erinnern.“

Eine Kommission deutscher und israelischer Historiker soll nun eingesetzt werden, die Ereignisse von München lückenlos aufzuarbeiten. Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagte dazu in einem Interview: „Das ist begrüßenswert, wenn auch beschämend spät. Mir erschließt sich nicht, was man so lange geheim halten wollte. Vermutlich geht es um die eigenen Fehler: die Warnungen, die man nicht ernst genommen hat, die falschen Entscheidungen, die man traf.“ Auch in München tut sich etwas: mit dem multimedialen Erinnerungsprojekt „Zwölf Monate – Zwölf Namen“ soll an die Opfer des Olympia Attentats erinnert werden. Jeden Monat steht dabei eines der Opfer im Mittelpunkt des Gedenkens. Konzipiert und koordiniert wird das Erinnerungsprojekt vom Jüdischen Museum München und weiteren Kooperationspartnern. (Mehr erfahren.)

Entschädigung der Opferfamilien
Für Ankie Spitzer und die anderen Angehörigen gehört zur Übernahme einer deutschen Mitverantwortung am Ausgang der Geiselname jedoch auch die Frage nach den Entschädigungszahlungen.

Direkt nach dem Anschlag wurden über das Rote Kreuz 1 Million Mark ausgezahlt. Erst 30 Jahre später, 2002, nachdem die Angehörigen zum Teil auch Gerichte eingeschaltet hatten, zahlte Deutschland insgesamt 3 Millionen Euro, die offiziell als Geste und nicht als Entschädigung bezeichnet wurden. Nach Abzug von Anwaltskosten und Gerichtsgebühren blieben noch 920.000 Euro, die sich 34 Angehörige teilen mussten.

Im Sommer 2022 wurde den Opferfamilien eine Gesamtsumme von 10 Millionen Euro angeboten, allerdings sollen darauf die beiden früheren Zahlungen aus 1972 und 2022 von insgesamt 4,5 Millionen Euro bereits angerechnet werden. Ankie Spitzer bezeichnete die Summe im Namen aller Hinterbliebenen als „beleidigend“, da sie nicht den internationalen Standards in ähnlichen Fällen entspricht und somit nicht angemessen sei. „Wir wollten nie öffentlich über Geld reden“, kritisierte Spitzer. „Aber nun sind wir gezwungen, es zu tun.“

Regierung bedauert Absage
Die Bundesregierung bedauerte die Absage der Angehörigen und beteuerte damals, mit den Hinterbliebenen im Gespräch bleiben zu wollen. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle hat sogar eine Absage zur Diskussion gestellt, damit die Gedenkfeier nicht „ins Groteske verkomme“.

Volker Beck meinte dazu: „Es geht den Hinterbliebenen ja nicht vorrangig ums Geld, sondern darum, dass in der Entschädigung auch Respekt zum Ausdruck kommt. […] Es [die Gedenkfeier] wird ein Desaster, wenn sich die Verantwortlichen in der Entschädigungsfrage nicht besinnen. Man kann nur eindringlich bitten, den Angehörigen noch einen annehmbaren Vorschlag zu unterbreiten. Da man jetzt 50 Jahre mit ihnen gezockt hat, ist doch klar, dass ein ganz anderer Betrag auf der Waagschale liegen muss – weil die Versäumnisse über die Jahrzehnte so schwer wiegen. Die sind nicht mit ein paar hingeworfenen Geldbündeln wiedergutzumachen.“

Spätes Einlenken
Erst nach dieser Eskalation der Ereignisse und nur wenige Tage vor der Gedenkfeier kam es nun zu einer Einigung zwischen der Bundesregierung und den Hinterbliebenen auf eine Entschädigungssumme von 28 Millionen Euro. Der frühere Bundesminister und Jurist Gerhard Baum, der mit Kolleg*innen einer Anwaltskanzlei die Angehörigen bei den Verhandlungen vertreten hat, erklärte: „Die Vereinbarung ermöglicht auch eine würdige Gedenkfeier am 5. September in Anwesenheit der Präsidenten Izchak Herzog und Frank-Walter Steinmeier und vor allem in Anwesenheit der Hinterbliebenen, die sich unter den neuen Umständen bereit erklärt haben, an der Feier teilzunehmen. […] Ebenso wichtig ist den Angehörigen die Aufarbeitung des damaligen Geschehens – jetzt unter Offenlegung aller Quellen.“

In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Staatspräsident Isaac Herzog: „Mit dieser Einigung bekennt der deutsche Staat seine Verantwortung und erkennt das furchtbare Leid der Ermordeten und ihrer Angehörigen an, dessen wir kommende Woche gedenken wollen.“