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17. April 2024

von Sarah Stemmler
 


Erst Bayern, jetzt Hessen – die Landesregierungen sind stolz auf ihre Genderverbote. Begründet werden sie stets gleich: Gendern sei das Gegenteil von Inklusion und spalte die Gesellschaft. Aber sind es nicht gerade solche Verbote, die ausschließen und spalten? 

Und werden queere Bürger*innen  gleichwertig behandelt, wenn Schulen und Ämter künftig so tun, als existierten sie nicht?

Aber darum geht’s bei der Debatte ums Gendern gar nicht. Hinter den Verboten steckt ein Kulturkampf, der maßgeblich von der AfD vorangetrieben wird und ein billiges Feindbild braucht.

Worum geht’s eigentlich beim Gendern? 

Gender ist ein sozialwissenschaftliches Konzept, das besagt, dass Geschlecht nicht nur biologisch ist, sondern auch sozial – also von gesellschaftlichen Normen konstruiert wird. Das biologische Geschlecht wird einer Person bei Geburt anhand anatomischer Merkmale zugewiesen, während das soziale Geschlecht durch kulturelle Kriterien wie Aussehen, Verhaltensweisen und Vorlieben definiert wird. Stimmen das biologische und das soziale Geschlecht überein, spricht man von Cis-Geschlechtlichkeit. Die Personen finden sich im generischen Maskulinum oder Femininum wieder. Unterscheiden sie sich, sind die betreffenden Personen womöglich trans, nicht-binär oder agender. Diese geschlechtliche Vielfalt macht das Gendern in der Sprache sichtbar. 

Gendern – Feindbild der Rechtsextremen   

Gendern ist das Hassthema der AfD. Die vom Verfassungsschutz als weitgehend rechtsextrem eingestufte Partei hetzt seit Jahren gegen „Genderwahn“ und „Gender-Gaga“, und befeuert das Thema insbesondere in den Sozialen Medien. Sie ist die bisher einzige Partei, die das Gendern derart zentral nutzt – und es nicht geschlechtergerechte Sprache nennt, sondern „Ideologie“ und „Zwang“. Die Aufregung hat Kalkül: Gendern und das dahinterstehende wissenschaftliche Konzept sind das perfekte Feindbild für die extreme Rechte.  

Baustein 1: Konservative Kernfamilie 

Während Gendern für die Vielfalt der Geschlechter steht, beharren rechtsextreme Akteur*innen auf dem biologischen Geschlecht sowie auf Zweigeschlechtlichkeit. Für sie gibt es nur „Mann“ und „Frau“, die sich idealerweise heiraten und gemeinsam eine Familie gründen. Das gilt als „natürlich“ und „normal“. Wer gendert, stellt in diesem Weltbild die natürliche Ordnung infrage, will soziale und kulturelle Identitäten zerstören und letztlich das Fundament der Gesellschaft angreifen. Das Bild der konservativen Kernfamilie führt direkt zum zweiten Baustein der Anti-Gender-Ideologie ... 

Baustein 2: Völkische Reproduktion 

Zur Kernfamilie gehören bei der AfD immer auch: Kinder. Weiße Kinder, versteht sich, gezeugt von Eltern, die nicht gerade erst eingewandert sind. Immer wieder ist deshalb von der angeblich zu niedrigen Geburtenrate die Rede, und davon, dass das „deutsche Staatsvolk“ gerettet werden müsse. Frauen sind in dieser Logik zur Reproduktion bestimmt, zum Gebären und Aufziehen von Kindern. Sie werden mit dem Fortbestand der Nation identifiziert – das Familienbild hängt also eng mit einer Vorstellung eines völkischen Staates zusammen.  

Baustein 3: Christlich-fundamentalistische und antifeministische Allianzen 

Die Ablehnung des Genderns verbindet die extreme Rechte mit christlichen Fundamentalist*innen, die daran glauben, dass die Gemeinschaft von Mann und Frau Teil einer gottgegebenen Ordnung ist. Auch sie wehren sich gegen alles, was traditionelle Geschlechterrollen hinterfragt, sehen den Zweck der Ehe in Fortpflanzung und wollen Menschen mit Gebärmutter nicht über ihre Körper bestimmen lassen. Das passt auch ins Programm von Antifeminist*innen, die sich z.B. etwas auf „echte Männlichkeit“ einbilden und den heutigen Feminismus als „Krebs“ wahrnehmen, so wie der AfD-Abgeordnete Maximilian Krah.  

Baustein 4: Antisemitismus und Verschwörungstheorien 

Queerfeindliche und antifeministische Konzepte haben eine lange Tradition: Schon in der Weimarer Republik prägten Nazis die Vorstellung, dass hinter „Verweiblichung“ und Aufweichung der Geschlechtsnormen eine Verschwörung stünde, die die „Schwächung des Volkskörpers“ zum Ziel hätte. Für diese Verschwörung wurden Jüdinnen_Juden verantwortlich gemacht, die das Volk „zersetzen“ wollten, um es zu beherrschen. 

In den heutigen Verschwörungstheorien vom „Great Reset“ bzw. „Großen Austausch“ setzt sich dieses Bild fort. Die „Eliten“ (meist als jüdisch markiert, über Schlagworte wie „Soros“) würden die „Gender-Ideologie“ nutzen, um die Nationalstaaten zu schwächen und eine totalitäre Weltregierung, eine „Neue Weltordnung“ durchzusetzen. 

Gefährliche Mischung 

Hinter Genderverboten steckt also viel mehr als sprachliche Vorlieben oder Ärger über das Sternchen. Auch wenn es zunächst scheinbar nur um eine Schreibweise geht, wird hier – bewusst oder nicht – ein Kulturkampf geführt, an dessen Ende  all jene ausgegrenzt werden sollen, die selbst entscheiden wollen, wie sie ihre Geschlechtsidentität leben, ob sie Familien gründen und wie sie zusammengesetzt sind Gender-Verbote stärken den Rechtsruck unserer Gesellschaft – und das in einer Zeit, in der Angriffe auf Angehörige der LGBTIQ+-Community zunehmen. 2022 wurden mehr als doppelt so viele queerfeindliche Gewaltangriffe registriert wie 2021. 

Es ist schon fast ironisch: Mit der Behauptung, eine „linke Sprachpolizei“ wolle über das Gendern Freiheiten nehmen und Zwang ausüben, wird nun ein realer staatlicher Sprachzwang eingeführt, werden Freiheiten verringert.