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Den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gibt es erst seit 1996. Warum wurde der Gedenktag erst so spät eingeführt und warum wurde der 27. Januar gewählt?

Spätes Gedenken ​​​​

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus wurde erst 51 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eingeführt. Laut der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat es Jahrzehnte gedauert, bis sich die Deutschen überhaupt mit den NS-Verbrechen auseinandersetzten. Nach Kriegsende begann für die Deutschen zunächst die Phase der Verdrängung. Auch politisch versuchte man, einen Schlussstrich zu ziehen und betrachtete sich sogar ganz ohne Aufarbeitung bereits als “entnazifiziert”.  1966 äußerte Kanzler Konrad Adenauer, man solle die Gräuel des Nationalsozialismus der Vergangenheit überlassen.

Politische Instrumentalisierung

In der frühen Nachkriegszeit gab es im September einen Gedenktag für die Opfer des Faschismus. Dieser Tag wurde im Zuge der Teilung in BRD und DDR in Westdeutschland aus politischen Motiven zum Gedenken für die “Opfer der Unmenschlichkeit” umgedeutet. Es sollte allgemein den Opfern totalitärer Staaten gedacht werden, die DDR wurde als kommunistische Nachfolge des Nazi-Regimes dargestellt. Ab Mitte der 50er Jahre wurde den Opfern des Nationalsozialismus am sogenannten Volkstrauertag gedacht – gleichzeitig mit den deutschen Kriegstoten. Damit fand eine Gleichsetzung statt, die alle zu Opfern erklärte und die Unterscheidung zwischen TäterInnen und Verfolgten nivellierte. Einen eigenen Gedenktag für die NS-Opfer gab es nicht.

Warum gerade der 27. Januar?

Der Gedenktag am 27. Januar wurde in den 90ern von Ignatz Bubis, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, angeregt. Zur Debatte stand auch der 9. November, Bubis war aber wegen der vielfältigen geschichtlichen Bezüge des Datums dagegen.* Während am 9. November 1938 deutschlandweit Juden und Jüdinnen in Pogromen getötet wurden, ist die Befreiung des Konzentrationslagerns Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 ein internationales Datum.

*Am 9. November jährt sich nicht nur das Novemberpogrom 1938, sondern auch der gescheiterte Putschversuch durch Adolf Hitler 1923 und die Ausrufung der Republik in Deutschland 1918. Später kam dann der Mauerfall 1989 hinzu.

Internationales Gedenken am 27. Januar

Heute wird nicht nur in Deutschland den Opfern des Nationalsozialismus gedacht: 2005 wurde der 27. Januar von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens erklärt. In Israel gibt es allerdings einen Nationalfeiertag mit einer etwas anderen Ausrichtung: Yom HaShoah steht für die Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943. Seit 1959 wird an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht, aber auch an die Held*innen des Widerstands. Jedes Jahr findet aus diesem Anlass auch der sogenannte “Marsch des Lebens” von Auschwitz nach Auschwitz-Birkenau statt. 

Kritik an der Wahl des Gedenktags

Dass die Befreiung von Auschwitz für das deutsche Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewählt wurde, wird auch kritisiert. Der Soziologe Michal Bodemann schrieb 1999, man solle den Gedenktag wieder abschaffen und stattdessen einen Tag wählen, der stärker für die deutsche Täterschaft steht. Denn: “Dadurch, daß der Befreiung von Auschwitz statt seiner Errichtung gedacht wird, stellt sich Deutschland an die Seite der Opfer und der Siegermächte – ein Anspruch, der Deutschen nicht zusteht.”   


Wie Gedenken auf angemessene und kritische Weise gestaltet werden kann, ist eine Frage, die wir uns in Zukunft regelmäßig stellen werden. Im Rahmen unserer neuen Reihe "Off the record" nehmen wir unsere Erinnerungskultur unter die Lupe – und versuchen, die Personen, Ereignisse und Aspekte zu thematisieren, die nicht genug Raum bekommen.