Loading...


5. Januar 2024
von Anette John


Denn dieser „Wohlfühlfilm“ über Rassismus bedient ein äußerst beliebtes Filmnarrativ, das von Hollywood und Co. immer wieder gerne aus der Mottenkiste gekramt wird: das vom heroischen „White Savior“. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Unsere Kollegin Anette John, Redakteurin im Team Öffentlichkeitsarbeit, nimmt das Thema genauer unter die Lupe. 

„White-Savior“-Trope im Film – Eine kurze Begriffserklärung 

Verkürzt gesagt, lassen sich unter diesem Narrativ Filme subsumieren, in denen sich ein weißer Mensch für BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color) einsetzt – und dabei zur*zum weißen Retter*in stilisiert wird. Oft thematisieren diese Filme Rassismus und haben vermutlich durchaus gute Absichten. Das Verstörende und Problematische dabei ist, dass nicht die Perspektive der BIPoC-Personen im Fokus steht (also der Menschen, die Rassismus erfahren), sondern die des „White Saviors“. Dieser ist ein heldenhafter Retter oder eine Retterin, die ihre Lektion in puncto Rassismus gelernt hat und sich nun dagegen einsetzt, um eine nicht-weiße Person zu „retten“. Das suggeriert, dass BIPoCs es alleine nicht schaffen würden. Der weiße Charakter spielt hier also kurioserweise die Hauptrolle, obwohl es um Probleme geht, die ihn in erster Linie gar nicht betreffen. Der BIPoC-Charakter wirkt hingegen seltsam passiv und hilflos. Geschichten und Geschichte von BIPoCs (z.B. Sklaverei, Bürgerrechtsbewegung, Rassentrennung in den USA) werden hier also aus der Perspektive eines/einer weißen/weißer Protagonist*in erzählt, was die Problematiken und Herausforderungen von strukturellem Rassismus nur stark verkürzt und vereinfacht darstellt – dabei tappt die Erzählung gerne in die Stereotypen-Falle und reproduziert alte Klischees und Vorurteile.   

Zum Schluss gibt es in der Regel ein Happy End: der Kampf gegen Rassismus ist im Kleinen (nie auf struktureller Ebene) gewonnen, dank des großherzigen weißen Saviors. Das weiße Publikum kann nach dem Kinobesuch mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Hat gar nicht wehgetan, dieser Film über Rassismus. Ob bewusst oder unbewusst wird hier von den Filmemachern angenommen, dass ein weißes Publikum beim Thema Rassismus nur mitfühlen kann, wenn es eine*n weiße*n Held*in gibt, der*die als Identifikationsfigur dient – statt BIPoC und ihren Kampf für Gerechtigkeit in den Fokus zu rücken. Der „White Savior“ hat also die Funktion dem weißen Publikum ein gutes Gefühl zu geben, wo es lieber Unbehagen spüren sollte – nämlich beim Thema Rassismus.  

Ein kurzer Beitrag in „Late Night with Seth Meyers“ bringt noch weitere Merkmale des Tropes kurz und humoristisch auf den Punkt.    

Wenn Sie externe Inhalte von www.youtube.com aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.

Eine etwas ausführlichere, aber sehr erleuchtende Definition des Narrativs findet ihr außerdem auf dem YouTube-Kanal „The Take“. Schaut unbedingt mal rein. 

Wenn Sie externe Inhalte von www.youtube.com aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.

Inwiefern ist „Green Book“ ein „White-Savior“-Film? 

Beispiele für den „White-Saviourism“ im Film gibt es wie Sand am Meer – von „The Help“ über „The Blind Side“, „12 Years a Slave“ bis zu „Dangerous Minds“ oder „Freedom Writers“. Der  Film „Green Book“ ist also kein seltenes Kuriosum, sondern einer von vielen und im Grunde ein Paradebeispiel für den Trope. 

Die Handlung spielt in den USA der 1960er-Jahre. Der Schwarze, queere Pianist Don Shirley (eine reale Person, hier gespielt von Mahershala Ali) möchte trotz Rassentrennungsgesetzen eine Tour durch die Südstaaten machen – begleitet wird er dabei von Tony Vallelonga, seinem weißen Chauffeur auf Zeit. Tony ist ein etwas grobschlächtiger Typ, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und ganz nebenbei ein Rassist ist. Im Laufe der Handlung freundet er sich  mit Don Shirley an und bringt sich fortan immer wieder in brenzlige Situationen mit anderen Rassist*innen, um sich für Don einzusetzen.  Obwohl das Ausnahmetalent Don Shirley die eigentlich spannende Figur ist, steht hier vor allem Tony im Mittelpunkt. Don fungiert nur als Nebenfigur, durch die Tony glänzen kann. Das „Spannende“ an Tony ist nämlich im Grunde nur eins: Er erfährt eine Läuterung und begreift durch die persönliche Begegnung und die sich entwickelnde Freundschaft, wie toxisch und falsch Rassismus ist. Am Ende wird Don Shirley zum Essen bei den Vellelongas eingeladen, es gibt einen kurzen Moment der Irritation (Werden sie ihn ausladen, weil er Schwarz ist? Wird jemand etwas Rassistisches sagen?), bevor alle gemütlich und freundlich zusammen am Tisch sitzen. Ende gut, alles gut. Uff. 

„Get Out“ – ein kritischer Kommentar auf den „White-Savior“-Trope 

Das man sehr wohl Filme zum Thema Rassismus ohne den altbackenen und klischeebehafteten „White-Savior“-Trope drehen kann, haben in den letzten Jahren ebenfalls zahlreiche Filmproduktionen wie „The Hate U Give“, „BlacKkKlansman“ aber auch insbesondere der ebenfalls preisgekrönte satirische Mystery-Horror „Get Out“ des Regisseurs Jordan Peele von 2017 gezeigt. 

In „Get Out“ begleitet der Schwarze Fotograf Chris seine weiße Freundin Rose zu einem Besuch ihrer Familie aufs Land. Dort angekommen, entdeckt Chris, dass Roses` Familie ein düsteres Geheimnis hütet und Afroamerikaner*innen für egoistische und grausame Zwecke missbraucht. Die vermeintlich freundliche und aufgeschlossene weiße Familie entpuppt sich schon bald als massive Gefahr für Schwarze Menschen.  

In „Get Out“ gibt es keine „White Saviors“ – die Schwarzen Figuren kämpfen für sich selbst, füreinander und gegen die Grausamkeiten, die ihnen widerfahren. Keine weiße Retterfigur weit und breit. Gut so! Mit dem Narrativ, das die „White-Savior“-Filme so gerne bedienen, wird bewusst gebrochen. Insbesondere das Ende (das ich nicht spoilern möchte, aber es geht um die Frage: Wer rettet wen?), kann als ein satirischer Kommentar auf den Film-Trope gelesen werden.  

Der Film zeigt außerdem auf eindringliche Weise, dass Rassismus sich nicht nur in Hassverbrechen widerspiegelt, sondern ebenso in Alltagsrassismus und Mikroaggressionen, mit denen Schwarze Menschen oft tagtäglich konfrontiert sind. Das Problem Rassismus wird also viel komplexer dargestellt als in den zuvor benannten „White-Savior“-Filmen. 

Und jetzt? Alle „White-Savior“-Filme canceln? 

Fällt dir gerade noch ein Film ein, den du vielleicht magst, aber der genau in diese Trope-Falle tappt? Und jetzt? Was tun? Canceln?

Der „White-Savior“-Trope im Film muss nicht unbedingt bedeuten, dass man den Film nun nie mehr schauen sollte oder dass der Film grundsätzlich rundum misslungen sein muss und man gar nichts Positives daraus ziehen kann. Die Leistung der Schauspieler*innen kann z.B. trotzdem herausragend sein. Die Qualität eines Films setzt sich schließlich aus zahlreichen Facetten zusammen und den unterschiedlichen Talenten des gesamten Filmteams. Vielmehr geht es darum, ihn nun kritischer zu betrachten, genauer hinzuschauen, jetzt wo dir als Zuschauer*in die Erzählmuster und ihre Funktionen bekannt sind.  

Zugleich denke ich aber auch: Bitte, bloß keine weiteren „White-Savior“-Filme mehr! Denn sobald man als Zuschauer*in begriffen hat, dass dieser Trope sich so hartnäckig durch die Filmgeschichte zieht, rassistische Stereotype und Storylines immer wieder reproduziert, problematische Bias und Bilder in unserem Kopf untermauert, statt sie einzureißen – kann man sich eigentlich nur noch dagegen entscheiden, oder? Ich sehe das zumindest so und viele Filmemacher*innen inzwischen auch. Denn Filme dieser Art sind eindeutig auf dem absteigenden Ast. Bleibt nur zu hoffen, dass kein „White Savior“ zur Rettung des „White-Savior“-Tropes heraneilt.    


Ein Beitrag aus der Reihe „(Un)hyped“ der Bildungsstätte Anne Frank. 

Im Mai 2023 starteten wir unsere neue Reihe „(Un)hyped“. Dabei wollen wir in regelmäßigen Abständen Filme, Serien, Bücher, Games, Genres und andere popkulturell relevante Formate kritisch unter die Lupe nehmen und in Hinblick auf unsere Kernthemen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit untersuchen. Welcher Film ist gut gealtert – welcher schlecht? Und welche Serie ist so problematisch, dass sie vielleicht einfach gecancelt werden sollte? Unterschiedliche Kolleg*innen der Bildungsstätte teilen ihre Perspektiven.