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Wir haben die beiden Experten Hanno Loewy und Alex Feuerherdt um ihre Einschätzung gebeten. An dieser Stelle finden Sie das Interview mit dem freien Publizist Alex Feuerherdt. 

Inwiefern stufen Sie BDS als antisemitisch ein?

Alex Feuerherdt: BDS dämonisiert und delegitimiert Israel, misst den jüdischen Staat mit anderen Maßstäben als jedes andere Land dieser Welt und negiert sein Existenzrecht. Die Bewegung erfüllt sämtliche Kriterien aller seriösen Antisemitismusdefinitionen, etwa die der IHRA. Aber nicht nur das: BDS ist auch ein Angriff auf das Judentum. Unabhängig von der Politik der jeweiligen israelischen Regierung fühlt sich eine große Mehrheit auch der Jüdinnen und Juden außerhalb Israels dem jüdischen Staat eng oder sehr eng verbunden. Denn er ist ihre Lebensversicherung gegen den grassierenden Antisemitismus außerhalb Israels, ein Ausdruck jüdischer Souveränität – und ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Symbol des zeitgenössischen Judentums. BDS zielt auf das Ende des jüdischen Staates, damit richtet sich die Bewegung auch gegen die große Mehrheit der heute lebenden Jüdinnen und Juden weltweit und gegen eine wesentliche Komponente jüdischer Identität. Das ist antisemitisch.

Es ist oft schwer zu sagen, wer zu BDS gehört. Es wird von BDS-Unterstützer*innen, BDS-Verteidiger*innen, BDS-Versteher*innen, BDS-Nahen usw. gesprochen. Wo ist es sinnvoll eine Grenze zu ziehen? Wem sollte man ein Podium bieten und wem nicht?

Alex Feuerherdt: Die Grenze verläuft dort, wo nicht nur die konkrete Politik der israelischen Regierung, konkrete Maßnahmen der israelischen Armee oder konkrete Missstände in der israelischen Gesellschaft kritisiert werden, sondern wo der jüdische Staat dämonisiert und delegitimiert wird und wo er mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere Länder. Genau das ist zentral für BDS. Wer also etwa Forderungen nach einem Israel-Boykott unterstützt, Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland vergleicht, das Existenzrecht Israels negiert, sich das typische BDS-Vokabular wie „Apartheidstaat“ oder „Siedlerkolonialismus“ zu eigen macht oder die Einladung von BDS-Aktivist*innen befürwortet, macht sich mit BDS gemein, also mit einer antisemitischen Bewegung. Und dafür sollte es kein Podium geben.

Debatten kommen oft nicht zustande, weil Kontrahent*innen nicht mehr miteinander sprechen wollen. Wie gelingt es, Dialogräume für einen konstruktiven Austausch – zwischen antisemitismuskritischen und rassismuskritischen Perspektiven – zu schaffen?

Alex Feuerherdt: BDS ist keine rassismuskritische Perspektive, sondern eine antisemitische. Es ist unstrittig, dass es in Israel – wie in jedem anderen Land, auch jedem demokratischen – Rassismus gibt, der entschieden bekämpft werden muss. Das wird hoffentlich auch aus antisemitismuskritischer Perspektive nicht angezweifelt. Aber wer die Existenz eines jüdischen Staates für ein rassistisches Unterfangen hält, Israel als „Apartheidstaat“ bezeichnet oder schon jüdische Feiertage und den Davidstern in der israelischen Flagge für Rassismus gegenüber Nichtjuden und Nichtjüdinnen hält, will keinen konstruktiven Austausch zwischen rassismus- und antisemitismuskritischen Perspektiven, sondern betreibt eine Dämonisierung und Delegitimierung des einzigen Staates auf dieser Welt mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit. BDS ist schlichtweg indiskutabel, und das sollte auch aus rassismuskritischer Perspektive so gesehen werden, sonst ist es schwierig, Dialogräume zu finden.

Macht es für Sie einen Unterschied, aus welcher (Sprecher*innen-) Position heraus sich Menschen pro/kontra zum Konflikt äußern?

Alex Feuerherdt: Grundsätzlich sollten Äußerungen und Positionen erst einmal an ihrem Inhalt gemessen werden. Allzu oft wird mit dem Verweis auf den Sprechort der Inhalt in den Hintergrund gedrängt, im Zusammenhang mit BDS vor allem dann, wenn es Jüdinnen und Juden sind, die sich positiv auf diese Bewegung beziehen. Sie sind eine kleine Minderheit, sowohl in der BDS-Bewegung als auch unter den Jüdinnen und Juden weltweit, trotzdem schickt BDS sie gerne vor, mit dem Hinweis, deren Äußerungen könnten ja nicht antisemitisch sein. Eine durchschaubare Strategie, um sich gegen Kritik zu immunisieren und sich gewissermaßen den Koscherstempel zu verleihen. Dennoch kann der Sprechort natürlich von Belang sein – die Betroffenenperspektive ist schließlich ein wichtiger Punkt.

Viele empfinden den Umgang mit BDS in Deutschland als zu einseitig bezogen auf seine nationalsozialistische Vergangenheit. Im Kontext der Documenta 15 wurde der deutschen Debatte vorgeworfen „provinziell“ zu sein. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die deutsche Geschichte für die Beurteilung von BDS?

Alex Feuerherdt: Das Wort „provinziell“ wird in diesem Kontext bevorzugt von Leuten verwendet, die die Shoa nicht als singuläres Menschheitsverbrechen betrachten, sondern als ein Verbrechen unter vielen in der langen Geschichte des Kolonialismus. Die Spezifik des Holocaust in allen ihren Dimensionen wird so ausgeblendet, Antisemitismus wird lediglich als Spielart des Rassismus angesehen – was schlicht falsch ist –, auch um die besondere Notwendigkeit und die besondere Legitimität eines jüdischen Staates zu verneinen. Wenn der Bundestag festhält, dass die Boykottforderungen von BDS an die NS-Parole „Kauft nicht bei Juden“ erinnern, hat er einfach Recht. Nicht nur vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist BDS antisemitisch, aber es ist wichtig, vor allem im Land der Täter besonders wachsam zu sein, was Antisemitismus betrifft.

Zum Interview mit Hanno Loewy


Alex Feuerherdt ist freier Publizist und lebt in Köln. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen Israel, Nahost, Antisemitismus und Fußball und schreibt regelmäßig unter anderem für die Jüdische Allgemeine, n-tv.de, die Jungle World und das Portal MENA-Watch. Gemeinsam mit dem Wiener Politikwissenschaftler Florian Markl hat Feuerherdt ein Buch zum Thema BDS geschrieben, das im November 2020 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen ist: „Die Israel-Boykottbewegung – Alter Hass in neuem Gewand“.
 


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